187*
nach links beim Überspringen auf den nächsten Zeilenanfang, am
wenigsten anstrengend macht, kann allgemein nicht angegeben
werden. Denn hei sehr langen Zeilen dauert zwar das Zurück¬
wenden des Blickes vom ersten Zeilenende zum Anfang der zweiten
Zeile länger als hei kurzen, und das schnelle Auffinden des rich¬
tigen Zeilenanfangs wird erschwert, aber das Lesen wird erleichtert
wegen der relativen Seltenheit dieser Rückwendungen. Das allzu¬
häufige Wiederanfangen des Lesens bei kurzen Zeilen mit der
unvermeidlichen Zerreifsung des Gedankenfadens am Ende der
Zeile stört manchen noch mehr, als jener Übelstand der sehr
langen Zeilen. Dasselbe gilt für die Gröfse der Seite, d. h.
die Anzahl der Zeilen einer Seite, sofern der Blick von der
untersten Zeile der ersten Seite zur obersten der zweiten (mit
oder ohne Umwenden des Blattes) gehoben werden mufs.
Indessen der Geschmack kommt hier mit in Frage und die
durch Nachahmung (des Lehrers, der Eltern u. a.) entstandene
Gewohnheit, welche nur ausnahmsweise — bei Pedanten — eine
bestimmte Zeilenlänge stets genau beibehält, hat, obgleich sie in¬
dividuell verschieden ist, doch nur eine nebensächliche psycho¬
logische Bedeutung (S. 193).
Zeilen von mehr als 16 Centimeter Länge sind in Briefen
ungewöhnlich (vergl. S. 73), solche von weniger als 3 (S. 14 und
30) desgleichen. Es gibt freilich Miniaturbriefchen mit noch
kürzeren Zeilen, aber ich finde in meiner ganzen umfangreichen
Sammlung von Briefen, die in den letzten 40 Jahren an mich
gerichtet worden sind, nur sehr wenige, deren Seiten bis 70 □ Centi¬
meter (7 X 10) herabgehen mit 5 und 6 Centimeter langen Zeilen.
Es sind in ausgedehnteren Korrespondenzen nur ausnahmsweise
vorkommende Zuschriften von zwei hervorragenden Physiologen.
Deutsche Postkarten (9 Centimeter breit) und die meisten Visiten¬
karten gestatten eine erheblich gröfsere Zeilenlänge.
Überhaupt aber kommt es viel weniger auf die absolute Länge
der Zeile an, als auf ihre Länge im Verhältnis zur Breite der
Schreibfläche, also der Seite. In dieser Hinsicht hat der rechts
und besonders der links frei bleibende, unbeschriebene Rand ein
grofses psychologisches Interesse. Denn es ist eine leicht zu be¬
stätigende Thatsaehe, dafs die individuell stark variierende Breite
dieser Ränder mit dem Sinn für Sparsamkeit zusammenhängt.
Ist der Rand links gleichmäfsig und sehr breit die ganze