Volltext: Zur Psychologie des Schreibens: Mit besonderer Rücksicht auf individuelle Verschiedenheiten der Handschriften

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nach links beim Überspringen auf den nächsten Zeilenanfang, am 
wenigsten anstrengend macht, kann allgemein nicht angegeben 
werden. Denn hei sehr langen Zeilen dauert zwar das Zurück¬ 
wenden des Blickes vom ersten Zeilenende zum Anfang der zweiten 
Zeile länger als hei kurzen, und das schnelle Auffinden des rich¬ 
tigen Zeilenanfangs wird erschwert, aber das Lesen wird erleichtert 
wegen der relativen Seltenheit dieser Rückwendungen. Das allzu¬ 
häufige Wiederanfangen des Lesens bei kurzen Zeilen mit der 
unvermeidlichen Zerreifsung des Gedankenfadens am Ende der 
Zeile stört manchen noch mehr, als jener Übelstand der sehr 
langen Zeilen. Dasselbe gilt für die Gröfse der Seite, d. h. 
die Anzahl der Zeilen einer Seite, sofern der Blick von der 
untersten Zeile der ersten Seite zur obersten der zweiten (mit 
oder ohne Umwenden des Blattes) gehoben werden mufs. 
Indessen der Geschmack kommt hier mit in Frage und die 
durch Nachahmung (des Lehrers, der Eltern u. a.) entstandene 
Gewohnheit, welche nur ausnahmsweise — bei Pedanten — eine 
bestimmte Zeilenlänge stets genau beibehält, hat, obgleich sie in¬ 
dividuell verschieden ist, doch nur eine nebensächliche psycho¬ 
logische Bedeutung (S. 193). 
Zeilen von mehr als 16 Centimeter Länge sind in Briefen 
ungewöhnlich (vergl. S. 73), solche von weniger als 3 (S. 14 und 
30) desgleichen. Es gibt freilich Miniaturbriefchen mit noch 
kürzeren Zeilen, aber ich finde in meiner ganzen umfangreichen 
Sammlung von Briefen, die in den letzten 40 Jahren an mich 
gerichtet worden sind, nur sehr wenige, deren Seiten bis 70 □ Centi¬ 
meter (7 X 10) herabgehen mit 5 und 6 Centimeter langen Zeilen. 
Es sind in ausgedehnteren Korrespondenzen nur ausnahmsweise 
vorkommende Zuschriften von zwei hervorragenden Physiologen. 
Deutsche Postkarten (9 Centimeter breit) und die meisten Visiten¬ 
karten gestatten eine erheblich gröfsere Zeilenlänge. 
Überhaupt aber kommt es viel weniger auf die absolute Länge 
der Zeile an, als auf ihre Länge im Verhältnis zur Breite der 
Schreibfläche, also der Seite. In dieser Hinsicht hat der rechts 
und besonders der links frei bleibende, unbeschriebene Rand ein 
grofses psychologisches Interesse. Denn es ist eine leicht zu be¬ 
stätigende Thatsaehe, dafs die individuell stark variierende Breite 
dieser Ränder mit dem Sinn für Sparsamkeit zusammenhängt. 
Ist der Rand links gleichmäfsig und sehr breit die ganze
	        
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