Volltext: Zur Psychologie des Schreibens: Mit besonderer Rücksicht auf individuelle Verschiedenheiten der Handschriften

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Die Erfahrung bestätigt diesen graphologischen Lehrsatz 
(M. M. 181 fg., M. S. 100 fg. 240), vorausgesetzt, dafs auf un- 
gemustertes Papier ohne Wasserlinien und Linienblatt bei gewöhn- ' 
licher Lage der Schreibfläche geschrieben wird. 
Viele schreiben aber, selbst wenn gerade Linien vorgezeichnet 
sind, hartnäckig aufwärts, andere abwärts, ohne es sich abgewöhnen 
zu können, selbst noch im Greisenalter. 
Dafs die Lebhaften, Heiteren, Mutigen, Eifrigen, Ehrgeizigen, 
im Gefühl der eigenen Kraft Erfolg erhoffenden, im Notfall dem 
vorgesteckten Ziel um jeden Preis, ohne Rücksicht auf Gefahren 
und Hindernisse, Verzögerungen und Warnungen, sich Nähernden 
sehr oft die Zeilen, und in diesen Isogar noch mehr einzelne 
Wörter, aufwärts richten, ist Thatsache. 
Abwärts gerichtetete Zeilen dagegen lassen darauf schliefsen, 
dafs der Schreibende sich in einer traurigen oder ernsten, zum 
Scherzen ganz und gar nicht geeigneten Stimmung befindet, durch 
äufsere Umstände, Erinnerungen, Krankheit, betrübende Ereignisse 
deprimiert ist, weniger Mut und Selbstvertrauen hat, als der Ehr¬ 
geizige. Der Verlassene, der Unbemittelte, der Leidende, welcher 
gewohnheitsmäfsig stark „bergab“ schreibt, hat meist die Hoffnung 
auf dauerndes Glück aufgegeben, verfolgt nicht mehr eifrig die 
mit Einsetzung aller Kraft in der Jugend erstrebten höchsten 
Ziele, sieht mehr auf die Gefahren und Hemmnisse, als auf den 
möglichen Erfolg, oder verzichtet darauf, im Wettkampf um die 
äulseren Güter des Lebens, um Reichtum, Ruhm, Einflufs, 
Ehrungen, Ämter und Würden weiter zu konkurrieren. Sei. es 
eine pessimistische Weltanschauung, seien es Todesfälle in der 
eigenen Eamilie oder auch unverdiente Zurücksetzungen, schmerz¬ 
liche Enttäuschungen, denen die Wandlung zuzuschreiben ist 
(über solche Einzelheiten können Spezialzeichen Aufschlufs geben, 
von denen unter IV, 1 die Rede war), der Grundzug bleibt derselbe : 
die Depression, die Entmutigung. Am stärksten ist sie — gleich¬ 
viel ob eigene Schuld oder fremde, z. B. bei dem gerichtlich oder 
von der öffentlichen Meinung unschuldig Verurteilten vorliegt — 
wenn in den stark abwärts gerichteten Zeilen auch noch die 
Wörter zum Teil abwärts gehen und der letzte Buchstabe gleichsam 
unter die Zeile fällt oder mit einem steil abwärts gerichteten 
Endstrich versehen ist. 
Bei vielen impressionabeln Naturen variiert je nach dem
	        
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