Volltext: Zur Psychologie des Schreibens: Mit besonderer Rücksicht auf individuelle Verschiedenheiten der Handschriften

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gelehrte Philologe und Theologe (S. 2), der anspruchslose, 
menschenscheue Bücherfreund (S. 9). Wie dann und wann die 
Bevorzugung sehr grofser Schriftzüge ein Zeichen von Eitelkeit 
ist, ein Mittel, die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Person 
des Schreibenden zu lenken, so kann auch eine ungewöhnlich 
kleine Schrift mitunter dem Wunsche, beachtet zu werden, bei 
unbedeutenden Individuen ihre Entstehung und Beibehaltung ver¬ 
danken, werden doch Reklameanzeigen ebensowohl in ganz grofsen 
wie in ganz kleinen Lettern (um Neugierige anzuziehen) dem 
Publikum in Zeitungsinseraten vorgeführt. 
Ehe indessen eine solche Schlufsfolgeruug allein aus den zur 
charakterologischen Begutachtung vorgelegten Schriftstücken her¬ 
geleitet werden kann, müssen noch andere Zeichen der Eitelkeit, 
von denen oben (S. 89) die Rede war, darin nachgewiesen werden, 
und selbst in diesem Ealle bleibt der Grundzug bestehen: eine 
Neigung, sich lieber mit Einzelheiten und Nebensachen zu be¬ 
fassen, als mit allgemeinen Fragen, mit weitgehenden Projekten, 
Verschiebungen grofser Kapitalien, Reorganisationen, neuen 
Richtungen in Kunst und Wissenschaft. 
Nur wer fleissig viele Handschriften und Menschen studiert 
hat, kann aus Briefen erkennen, ob sie von Männern, die Erfolg 
haben, begabt sind und ernst genommen werden müssen, herrühren 
oder von Unbedeutenden, welche eben durch die Gröfse oder 
Kleinheit der Schriftzeichen sich von andern abzuheben trachten. 
Bei dieser Prüfung kommt viel auf die Ungleichheiten der 
Buchstabengröfse und der Gröfse einander entsprechender, also 
äquivalenter Buchstabenteile, namentlich bei Langbuchstaben, aber 
auch im m, n, u. an. Auch mufs man die Gleichheit und Un¬ 
gleichheit der Abstände der einzelnen Teile der Kleinbuchstaben 
hierbei berücksichtigen und das Verhältnis ihrer Dimensionen zu 
einander — ob es erheblich schwankt oder bei denselben Buch¬ 
staben annähernd dasselbe bleibt — sowie das Verhältnis der 
Majuskelhöhe zu der Minuskelhöhe (S. 17). Ich habe mich 
jedoch mit diesen durch Messen und Zählen leicht zu bestimmenden 
Einzelheiten nicht eingehend genug beschäftigt, um so viele 
Gesetzmäfsigkeiten thatsächlich neu begründen oder bestätigen zu 
können, wie es in betreff der Form und der Verbindung der 
Buchstaben geschehen ist. Es kommen nämlich hierbei physiologische 
Schwierigkeiten in Betracht, die zu überwinden noch viel Arbeit
	        
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