Volltext: Zur Psychologie des Schreibens: Mit besonderer Rücksicht auf individuelle Verschiedenheiten der Handschriften

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die Buchstaben steil sind und sehr nabe beisammen steben, und 
gewisse Zeichen, wie ein kleiner Abstand der Zeilen, auf eine 
Neigung, Papier zu sparen, binweisen. Sind nur die Schleifen 
der Initialien und Langbucbstaben klein oder ganz verkümmert, 
im Gegensatz zu den grofsen Bogenlinien (S. 113), dann schliefst 
man auf Schweigsamkeit oder eine Neigung, unnütze Worte zu 
vermeiden, zum Wenigsten, sich mit kurzen Auseinandersetzungen 
in mündlicher Bede zu begnügedr, 
Von anderen Unvollständigkelten einzelner Buchstaben war 
bereits die Bede; im Besonderen habe ich die Bedeutung der durch 
Vertauschung von Kurven und Ecken (S. 7) entstehenden Mängel 
der Buchstabenformen (S. 73 bis 77) psychogenetisch, andere in¬ 
dividuelle Unvollkommenheiten der Buchstaben durch den Einflufs 
von Mitbewegungen und unbewufsten Bewegungserinnerungsbildern 
zu erklären versucht. 
Sind die a und o, die g und q stets unvollständig geschlossen, 
indem sie oben offen bleiben (S. 14), so ist Wahrheitsliebe, Auf¬ 
richtigkeit, Ehrlichkeit mit einer Abneigung gegen Geheimnis¬ 
krämerei, zumal bei annähernd gleich bleibender Buchstabenhöhe, 
zu vermuten. Findet sich die Lücke unten, dann wird der 
Verdacht der JELeuehelei erregt (S. 80). 
Fehlen die Querstriche im t, die ^-Punkte, die Accente 
(Akut, Gravis, Circumflex), die Punkte der Diphthonge (ö, ä, ü), 
die notwendigen Unterscheidungszeichen des c und £, des ît und it, 
zum Teil oder gänzlich, so kann daraus viel eher auf Sorglosig¬ 
keit, Nachlässigkeit, Flüchtigkeit, Oberflächlichkeit, als auf 
Unkenntnis geschlossen werden, wie bei der mangelhaften Inter¬ 
punktion. Bei denjenigen Buchstaben, zu deren Herstellung, 
wie in den eben erwähnten Fällen, fast immer zwei Federzüge 
erfordert werden, wird der eine unterlassen, weil der Schreibende 
*in seiner Hastigkeit ihn vergifst. Ihm dient die Schrift nur als 
Verständigungsmittel und nicht als Kunstleistung, wie dem Kalli¬ 
graphen. Dieser formt nicht allein mit Behagen alle Buchstaben 
und sonstigen Schriftzeichen — sogar das Komma — vollständig, 
sondern fügt in der Begel noch viel überflüssiges Beiwerk hinzu, 
welches zur Kalligraphie als solcher nicht gehört. 
Eine Anzahl von Fortlassungen, die keineswegs auf Ober¬ 
flächlichkeit beruhen, sondern im Gegenteil bei gründlichen 
Gelehrten und Praktikern einer starken Abneigung, sich mit
	        
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