Volltext: Zur Psychologie des Schreibens: Mit besonderer Rücksicht auf individuelle Verschiedenheiten der Handschriften

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Laufe vieler Jahre ein deduktiver Kopf sich immer mehr von 
praktischen Fragen ah- und rein theoretischen zuwendet oder dichtet, 
so werden seine Buchstaben allmählich immer weniger verbunden 
zu Papier gebracht werden, ohne dafs er es merkt ; und wenn 
ein Idealist aus freien Stücken oder aus Not sich immer mehr 
mit der Wirklichkeit und der Erledigung von Geschäften befafst, 
dann werden seine früher getrennten Buchstaben nach und nach 
immer häufiger verbunden werden. Er wird deduktiv. Hierin 
liegt ein Beweis für die Beweglichkeit der graphologischen Zeichen, 
welche eben stets nur den psychischen Zustand des Schreibenden 
zu der Zeit, da er schreibt, abspiegeln. Die allmählichen Ver¬ 
änderungen desselben in dem angegebenen Sinne kann ich durch 
viele Briefe nachweisen. Auch zeigt schon sehr früh der Über¬ 
gang der intuitiven Schreibweise in die deduktive in den Schul¬ 
heften der Kinder die Naturanlage an. 
Man mufs aber bei der Beurteilung der Frage, oh eine Hand¬ 
schrift in diese oder jene Abteilung gehört, einzig und allein 
darauf achten, ob die Buchstaben miteinander verbunden sind 
oder nicht, ob also innerhalb der Wörter mehr Lücken oder mehr 
Bindungen Vorkommen. Weder handelt es sich zunächst darum, 
ob der einzelne Buchstabe, wie etwa t, i, h, s, x in zwei ge¬ 
sonderten Strichen oder in einem Zuge geschrieben wird, noch 
um die Verbindung der Wörter miteinander, noch darum, ob einem 
Buchstaben, der zwischen zwei anderen nur halb isoliert, d. h. nur 
auf einer Seite ohne Verbindungsstrich dasteht, links oder rechts 
der Verbindungsstrich fehlt, er hat, falls er nicht gerade am Ende 
oder am Anfänge eines Wortes steht, die leere Stelle auf der 
einen Seite im Wort, und diese zählt als Lücke, der Bindestrich 
auf der anderen als Verhindung. Anstatt also die völlig isolierten, 
die halb isolierten, d. h. die nur links oder nur rechts ver¬ 
bundenen, und die beidseitig verbundenen Buchstaben in den 
Wörtern zu zählen, zähle ich nur die Lücken und Ver¬ 
bindungen in den Wörtern. Dann entspricht das Maximum von 
leeren Zwischenräumen dem Falle, wo alle Buchstaben ohne 
Ausnahme isoliert sind, wie in der kleinen Schrift des gelehrten 
Lehrers (S. 9), dèssen höchster Genufs darin bestand, am Schreib¬ 
tisch, beim Kaffee und Tabak, seine philologischen und historischen 
Untersuchungen (zuletzt über die Verfolgung der Christen durch 
die Körner) fortzusetzen. Er lebte, der Gegenwart entrückt, mehr
	        
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