Volltext: Zur Psychologie des Schreibens: Mit besonderer Rücksicht auf individuelle Verschiedenheiten der Handschriften

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Polemik oder im Parlament, gern erneuern und in der Ver¬ 
teidigung nicht nachlassen, so lange er noch irgend welche Aussicht 
hat, den Gegner zu entwaffnen. 
Dieser Federzug entspricht der bei lebhaft gestikulierenden 
Männern häufig vorkommenden raschen und kräftigen Bewegung 
der halb oder ganz zur Faust geballten Hand, die sie als Zeichen 
des Beharrens bei ihrer Ansicht trotz aller Bedenken am Schlüsse 
•eines Ausspruchs machen. Der volkstümliche Ausdruck für ihr 
Verhalten ist „unwirsch“. Das latente Erinnerungsbild dieser 
heftigen Bewegung kann beim Schreiben in dem Augenblick, wo 
das Gefühl, Recht zu haben, vorherrscht, aber auch bei recht¬ 
haberischen, disputiersüchtigen oder streitliebenden Männern 
gewohnheitsmäfsig zur Geltung kommen. 
Die Krümmung dieser von oben nach unten gehenden 
Kurven ist durchweg erheblich flacher, als die der gewöhnlich 
hoch über der Zeile bei Majuskeln vorkommenden, die Phantasie, 
Schwärmerei, Begeisterungsfähigkeit kennzeichnenden grofsen 
Bogenlinien, namentlich des d (S. 39 des P, S. 129 des F), welche 
oft kaum zu unterscheiden sind von den, mit Heiterkeit verbundene 
Gesprächigkeit, Schwatzhaftigkeit, Redseligkeit, Plauderhaftigkeit 
verratenden Bogen (S. 113 das P). Die letzteren scheinen weniger 
schöne Formen zu haben und treten nicht so konstant auf. In 
beiden Fällen vermifst man die zügelnden Einflüsse ruhiger Über¬ 
legung und Selbstbeherrschung, welche an den oben erörterten 
einfachen, schmucklosen, d. h. auf das Notwendige beschränkten 
Federzügen erkannt werden. (S. 87.) 
Da die Phantasie frei über Zeit und Raum verfügt und das 
unüberwindliche Bedürfnis der viel redenden phantasielosen 
Menschen, sich mitzuteilen auch an die Zeit der zum Zuhören er¬ 
wählten Persönlichkeiten grofse Ansprüche macht, so ist jene Über¬ 
einstimmung der graphischen Zeichen nicht eben auffallend. Wer 
nicht Gelegenheit hat, der Redelust die Zügel schiefsen zu lassen, 
schreibt um so mehr und um so längere Briefe und beansprucht 
oft für die grofsen Anfangsbuchstaben viel Raum auf dem Papier, 
indem er aufgebauschte Schleifen an ihnen anbringt. Treffend 
nennen die Franzosen diese Eigenschaft gesteigerten Bedürfnisses 
sich mitzuteilen expansion. Um so grofse Buchstaben zu zeichnen, 
ist viel Zeit und Raum nötig. 
Diejenigen Bogenlinien, welche auf eine lebhafte Phantasie
	        
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