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Wie kommt die verräterische Schleife zu der wichtigen Be¬
deutung? Auf Tizians meisterhafter Darstellung der Eitelkeit
und Bescheidenheit zeigt die erstere weibliche Figur mit der
Hand auf sich. Man könnte daran denken, dafs die centripetale
Bewegung der Feder, besonders wenn der rückläufige Bogen in
einen längeren geraden Strich ausläuft, ebenfalls ein Weisen auf
sich vorstelle; aber mit solchen allegorischen Umgehungen einer
physiologisch-psychologischen Erklärung wird für das Verständnis
der Entstehung der Schleife nichts gewonnen. Der Egoist zeigt
nicht auf sich. Auch die von jedem kleinen Kinde zu der Zeit,
da es seine eigenen Körperteile von fremden unterscheiden lernt,
unzählbar oft wiederholten centripetalen Armbewegungen, mittelst
deren es seine Brust, seine Stirn, seine Schultern betastet, dadurch
sein Ichgefühl wachrufend (Preykr, Seele des Kindes, 1890,
Leipzig, S. 454) sind schwerlich für eine Erklärung zu verwerten,
weil es sich dabei um ein Tasten mit langsamen tatonnierenden
Beugungen handelt. Viel eher wird die beim Kinde überwertige
Vorstellung des Haben - wollens — auf materiellem und ideellem
Gebiete — und zwar für die Befriedigung ausschliefslich eigener
Wünsche, ohne Rücksicht auf die Wünsche anderer, hier in
Betracht kommen können. Das Kind macht, schon ehe es greifen
kann, unzählige Bewegungen der Hände zum Munde impulsiv
und instinktiv. Es führt allerlei Objekte in den Mund ein und
nähert Gegenstände, die es fassen kann, nachdem einmal die
Greifbewegungen eine gewisse Sicherheit erlangt haben, dem
eigenen Körper oder Antlitz. Wenn man nun bedenkt, dafs bei
den selbstsüchtigen Kindern stets das vorherrschende Motiv für
Handlungen der verschiedensten Art, also willkürliche Bewegungen,
das Haben-wollen ist, und das viel seltenere Geben-wollen dadurch
übertäubt wird, so erscheint bei ihnen das Zurückbleiben stärkerer
Reste von der ersteren, die ganze Jugendzeit hindurch immer öfter
wiederholten Handbewegung beim Nehmen im Vergleiche zu den
Erinnerungsspuren anderer seltenerer Handbewegungen — beim
Darreichen — natürlich. Dann ist aber auch die Beimischung
der dazu gehörigen Vorstellung zu Bewegungsvorstellungen ganz
anderer Art mehr begünstigt, als die der weniger tief wurzelnden.
Die willkürliche Bewegung des Schreibens bietet für eine solche
unbewufste Mitwirkung von Erinnerungsbildern einen besonders
grofsen Spielraum wegen der ohne Änderung der sprachlichen,