Volltext: Zur Psychologie des Schreibens: Mit besonderer Rücksicht auf individuelle Verschiedenheiten der Handschriften

104 
Wie kommt die verräterische Schleife zu der wichtigen Be¬ 
deutung? Auf Tizians meisterhafter Darstellung der Eitelkeit 
und Bescheidenheit zeigt die erstere weibliche Figur mit der 
Hand auf sich. Man könnte daran denken, dafs die centripetale 
Bewegung der Feder, besonders wenn der rückläufige Bogen in 
einen längeren geraden Strich ausläuft, ebenfalls ein Weisen auf 
sich vorstelle; aber mit solchen allegorischen Umgehungen einer 
physiologisch-psychologischen Erklärung wird für das Verständnis 
der Entstehung der Schleife nichts gewonnen. Der Egoist zeigt 
nicht auf sich. Auch die von jedem kleinen Kinde zu der Zeit, 
da es seine eigenen Körperteile von fremden unterscheiden lernt, 
unzählbar oft wiederholten centripetalen Armbewegungen, mittelst 
deren es seine Brust, seine Stirn, seine Schultern betastet, dadurch 
sein Ichgefühl wachrufend (Preykr, Seele des Kindes, 1890, 
Leipzig, S. 454) sind schwerlich für eine Erklärung zu verwerten, 
weil es sich dabei um ein Tasten mit langsamen tatonnierenden 
Beugungen handelt. Viel eher wird die beim Kinde überwertige 
Vorstellung des Haben - wollens — auf materiellem und ideellem 
Gebiete — und zwar für die Befriedigung ausschliefslich eigener 
Wünsche, ohne Rücksicht auf die Wünsche anderer, hier in 
Betracht kommen können. Das Kind macht, schon ehe es greifen 
kann, unzählige Bewegungen der Hände zum Munde impulsiv 
und instinktiv. Es führt allerlei Objekte in den Mund ein und 
nähert Gegenstände, die es fassen kann, nachdem einmal die 
Greifbewegungen eine gewisse Sicherheit erlangt haben, dem 
eigenen Körper oder Antlitz. Wenn man nun bedenkt, dafs bei 
den selbstsüchtigen Kindern stets das vorherrschende Motiv für 
Handlungen der verschiedensten Art, also willkürliche Bewegungen, 
das Haben-wollen ist, und das viel seltenere Geben-wollen dadurch 
übertäubt wird, so erscheint bei ihnen das Zurückbleiben stärkerer 
Reste von der ersteren, die ganze Jugendzeit hindurch immer öfter 
wiederholten Handbewegung beim Nehmen im Vergleiche zu den 
Erinnerungsspuren anderer seltenerer Handbewegungen — beim 
Darreichen — natürlich. Dann ist aber auch die Beimischung 
der dazu gehörigen Vorstellung zu Bewegungsvorstellungen ganz 
anderer Art mehr begünstigt, als die der weniger tief wurzelnden. 
Die willkürliche Bewegung des Schreibens bietet für eine solche 
unbewufste Mitwirkung von Erinnerungsbildern einen besonders 
grofsen Spielraum wegen der ohne Änderung der sprachlichen,
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.