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Fick. Physiol. Optik I. 4. Cap. Das schematische Auge.
Solche Augen, bei denen im ruhenden Zustande die Polarzone
der Netzhaut hinter der zweiten Brennebene liegt und die daher
nicht in unendliche Ferne, wohl aber in eine bestimmte endliche
Entfernung deutlich sehen, giebt es nun wirklich und man nennt sie
„myopische“ Augen. Die Eigenschaft der „Myopie*“ ist eine mathe¬
matische Grösse, welche verschiedener Grade fähig ist, denn die
Netzhaut kann verschieden weit hinter der zweiten Brennebene liegen.
Gleiche Brennweiten vorausgesetzt wird offenbar die Sehweite um
so kleiner sein, je weiter die Netzhaut hinter der hinteren Brennebene
liegt. Die Entfernung dieser beiden Ebenen von einander eignet
sich indessen nicht zum Maass der Myopie, da man sie im Leben
nicht messen kann und noch dazu diese Entfernung allein ohne Kennt-
niss der Brennweiten noch keine vollständige Kenntniss vom Refrak-
tionszustande des Auges geben würde. Gleichwohl ist es für die
Augenheilkunde ein Bedürfniss, die Grade der Myopie lebender Augen
numerisch darzustellen. Es kann keinen Augenblick zweifelhaft sein,
dass man den numerischen Ausdruck für die Myopie eines Auges
von seiner leicht bestimmbaren Sehweite abhängig machen muss, aber
diese Grösse selbst kann offenbar den Maassstab nicht abgeben, da
man umgekehrt ein Auge um so myopischer nennt, je kleiner seine
Sehweite ist. Man muss also zum numerischen Ausdruck eine Grösse
wählen, welche um so grösser ist je kleiner die Sehweite. In der
That ist man auf Donders’ Vorschlag übereingekommen den reci-
1
proken Werth der Sehweite P d. h. ^ zum Maass der Myopie zu
machen. Dadurch erscheint der als Emmetropie bezeichnete Refrak¬
tionszustand des Auges als ein bestimmter Werth von Myopie näm¬
lich als der Werth 1 ^
oc
Es mag noch bemerkt werden, dass die Augenärzte bei Angabe der
Myopiegrade nicht das Meter, sondern allgemein den pariser Zoll1
als Längeneinheit annehmen. Da schwerlich Augen Vorkommen,
deren Sehweite kleiner ist als ein pariser Zoll, so erscheint der Werth
der Myopie stets als ein positiver ächter Bruch dessen Zähler die
Einheit und dessen Nenner die Anzahl von pariser Zollen ist, welche
die Sehweite des Auges beträgt.
Aus einer Conkavlinse treten bekanntlich parallelstrahlig auffal¬
lende Bündel als divergente aus und zwar mit solcher Divergenz als
1 Auf dem ophthalmologischen Congress zu Heidelberg im Jahre 1875 ist übri¬
gens von Donders der Vorschlag gemacht in Zukunft auch für die Messung der Re¬
fraktionszustände des Auges das Metermaass zu Grunde zu legen. Die Einheit wird
als ..Dioptrie“ bezeichnet so dass z. B. einem Auge von 0,5 m. Sehweite der Werth von
2 Dioptrieen zukommt.