438 Aubert. Innervation der Blutgefässe. 1. Cap. Die Innervation der Arterien.
teilen Untersuchung unterworfen, indem er bei Kaninchen, Hunden und
Meerschweinchen halbseitige Durchschneidungen des Halsmarkes und halb¬
seitige oder vollständige Durchschneidungen des Rückenmarkes ausführte
und die darnach entstehende Erweiterung der Gefässe und Temperatur¬
zunahme in ihrer Ausdehnung feststellte. Schiff fand nach Durchschnei¬
dung der einen Hälfte des Halsmarkes unterhalb des Calamus scrip -
torius Temperaturerhöhung am Ohr, Nase, Zehen der Vorder- und
Hinterbeine der gleichnamigen, dagegen an Hals, Schulter, Rippen und
Lenden der entgegengesetzten Seite — nach Durchschneidung oberhalb
des Calamus aber keine Temperaturerhöhung der gleichnamigen Ex¬
tremitäten, wohl aber der Nase und des Auges. Er schliesst daraus,
dass „das Centrum der Ge f ä s snerven im Niveau des Calamus
liegt“.
Von neuem wurde die Frage des vasomotorischen Centrums wieder
aufgenommen von Ludwig und seinen Schülern. Durch die Untersuchun¬
gen von Ludwig und Thiry1 wurde zunächst der Einfluss, welchen das
Halsmark auf den Blutdruck unabhängig von der Herzthätigkeit hat, be¬
stimmt. Sie fanden, dass nach der Durchschneidung des Halsmarkes in
der Höhe des Atlas bei electrischer Reizung des Rückenmarkes unterhalb
des Schnittes nicht nur eine bedeutende Erhöhung des Blutdruckes, son¬
dern eine starke, theilweise bis zur Verschliessung gesteigerte Verenge¬
rung aller der directen Beobachtung zugängigen Arterien des ganzen
Körpers, mit Ausschluss der Kopfgefässe, also der Arterien der oberen
und unteren Extremität, der Phrenicae, Lienalis, Gastricae, Mesentericae,
Renales, Vesicales, Uterinae. Damit war die Ansicht, dass der Druck
bei Rückenmarkreizung die Folge von vergrösserter Herzfrequenz sei,
beseitigt; Ludwig und Thiry eliminirten diesen Einfluss gleichwohl noch
besonders, indem sie die Verbindungsnerven zwischen Rückenmark und
Herz galvanokaustisch zerstörten. Die weiteren Untersuchungen Dittmar's2
unter Ludwig’s Leitung wiesen dann nach, dass der Ort, wo die Reflexe
von den sensiblen auf die vasomotorischen Nerven zu Stande kommen,
in der Medulla oblongata gelegen ist, und dass nach der Trennung des
Grosshirns von der Medulla die Reflexe in gleicher Weise, wie vor der
Trennung zu Stande kommen: gehindert wird die Reflexion nur dann,
wenn bei der Entfernung des Grosshirns der Durasack mit Blut gefüllt
wird. Durch Owsjannikow3 und Ludwig wurde dann eine genauere Be¬
grenzung des vasomotorischen Centrums in der Medulla durch Versuche
an Kaninchen und Katzen ermittelt; Owsjannikow fand die obere Grenze
desselben bei Kaninchen 1 — 2 Mm. unterhalb der Vierhügel, die untere
Grenze 4—5 Mm. oberhalb der Spitze des Calamus scriptorius, also von
oben nach unten in einer Länge von 4 Mm.; ausserdem giebt Owsjan¬
nikow’ an, dass die genannten Organe seitwärts von der Mittellinie des
verlängerten Markes liegen. Noch etwas genauer hat Dittmar4 später
bei Ludwig die Grenzen des vasomotorischen Centrums bestimmt, wrie die
1 C. Ludwig & L. Thiry, Sitzgsber. d. Wiener Acad. XLIX. (2) S. 421. 1864.
2 Dittmar. Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss. 1873. S. 19.
3 Owsjannikow’. Ebenda. 1871. S. 135.
4 Dittmar, Ebenda. 1873. S. 449.