Vagusreizung.
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dem Verhalten der Muskelnerven als „Hemmungswirkung“ bezeichnet.
Nachdem Budge sich mehr für die Vorstellung ausgesprochen hatte, dass
durch den starken Reiz auf den Vagus eine momentane Erschöpfung ein¬
trete, suchte Schiff1 11 nachzuweisen, dass sehr schwache Wechselströme
eine Zunahme der Frequenz bewirken, und hielt später2 die Ansicht fest,
dass der Vagus nicht Hemmungsnerv für die Herzbewegungen wäre, son¬
dern nur rascher erschöpft würde, als die übrigen motorischen Nerven.
Gegen diese Annahme trat Pflüger3 auf — Schiff4 replicirte dagegen,
und bald nachher suchte auch Moleschott5 durch eine grosse Reihe von
Versuchen den Nachweis zu führen, dass schwache Reizungen des Vagus
sowohl bei Fröschen, als bei Kaninchen die Herzfrequenz vermehren, und
zwar sowohl schwache electrische Ströme, als auch mechanische, chemische
und thermische Reizungen. Die Fortsetzung dieser Arbeit mit Hufschmid6
ergab gleiche Resultate bei Anwendung von unpolarisirbaren Electroden :
gegen die Angriffe von von Bezold7, Rosenthal8, Brown-Séquard9 und
Küthe10 vertheidigte Moleschott 11 die Schlussfertigkeit seiner Versuche.
Indess erhielten in weiteren Untersuchungen von Bezold12, Forsblom13,
Pflüger14, Eckhard15 u. A. keine Vergrösserung der Herzfrequenz bei
Reizung der Vagi mit schwachen Strömen und Pflüger erklärte, dass
der normale Vagus des normalen Thieres durch keinerlei Stromstärke,
wie stark oder wie schwach sie auch sei, so gereizt werden könne, dass
die Frequenz des Herzschlages zunimmt. Der Satz, dass beim normalen
Thiere durch Vagusreizung immer nur Verlangsamung, niemals Zunahme
der Herzfrequenz bewirkt wird, gilt aber erstens nicht für vergiftete
Thiere. Bei mit Atropin vergifteten Thier en bringt, wie Schiff 16
zuerst beobachtet und dann auch Rutherford17, Keuchel18 und Schmiede¬
berg19 gefunden haben, Reizung des Vagus Vermehrung der Herzfrequenz
hervor; dasselbe ist der Fall bei mit Nicotin vergifteten Thieren, wie
Truiiart20 und Schmiedeberg entdeckt haben. Dass aber auch in einem
1 Schiff, Arch. f. physiol. Heilk. VIII. S. 211. 1849.
2 Derselbe, Lehrb. d. Physiol, d. Menschen. S. 187. 1858. — Man vergleiche
auch Schiff, Arch. f. d. ges. Physiol. XVIII. S. 172. 1878.
3 Pflüger, Ebenda. 1859. S. 13.
4 Schiff, Molesch. Unters. VI. S. 201. 1859.
5 Moleschott, Ebenda. VII. S. 401. 1861.
6 Hufschmid & Moleschott, Molesch. Unters. VIII. S. 52. 572. 1861.
7 von Bezold, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1862. S. 143.
8 Rosenthal, Die Athembewegungen und ihre Beziehungen z. N. vagus. 1862.
S. 260.
9 Brown-Séquard, Journ de physiol. V. p. 124. 1862.
10 Küthe , Over den invloed van den N. vagus op de hartsbeweging. Amsterdam
1862.
11 Moleschott, Unters. VIII. S. 601.
12 von Bezold, Unters, üb. d. Innervation d. Herzens. 1863.
13 Forsblom, Nervus vagus tarnen nervus inhibens. Diss. Jena 1863.
14 Pflüger, Unters, aus d. physiol. Labor, zu Bonn. 1865. S. 1.
15 Eckhard, Experimentalphysiologie des Nervensystems. S. 193. 1866.
16 Schiff, Molesch. Unters. 1865. S. 58; 1873. S. 189.
17 Rutherford, Journ. of anat. a. physiol. III. p. 408. 1869.
18 Keuchel, Das Atropin und die Hemmungsnerven. Diss. Dorpat 1868.
19 Schmiedeberg, Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss. 1870. S. 130.
20 Truhart (& Schmiedeberg), Ein Beitrag zur Nicotinwirkung. Diss. Dorpat
1869.