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Aubert, Innervation der Kreislaufs organe. Einleitung.
gefässwandungen contrahirt oder erschlafft sind, muss in der Zeitein¬
heit eine kleinere oder grössere Menge Blut durch die Gefässe strömen.
Befindet sich eine Arterie in dem Zustande der Contraction, so wird
zu dem von ihr versorgten Gefässbezirke weniger Blut strömen, als
wenn die Wandungen derselben erschlafft, und damit dehnbarer sind :
im letzteren Falle muss die Füllung der Gefasse mit Blut stärker
sein und das Organ blutreicher und röther erscheinen als im ersteren
Falle, und es muss die Menge des Blutes, welches durch die Vene
des Organes abfliesst oder aus der angeschnittenen Vene ausfliesst,
eine grössere sein. Da mit der Erweiterung der Blutgefässe die Wider¬
stände gegen die Strömung abnehmen, so muss damit auch der Druck
des Blutes in dem gesammten Gefässgebiete vermindert werden —
und umgekehrt bei Verengerung der Blutgefässe der Gesammtblut-
druck zunehmen.
Der Contractionszustand der Muskeln in den Gefässwandungen
wird beherrscht von den Gefässnerven oder vasomotorischen
Nerve n : er kann in einem ganz beschränkten Bezirke des Körpers
in höherem oder geringerem Grade vorhanden sein, oder sich auf
einen grossen Bezirk, vielleicht auf die Arterien des gesammten Kör¬
pers erstrecken. Nerven, durch deren Reizung eine Contraction der
Gefässmuskeln herbeigeführt wird, nennt man daher gefässver¬
eng ende oder auch pressorische Nerven; Nerven, deren Rei¬
zung eine Erschlaffung der Gefässmuskeln bewirkt, gefässerwei-
ternde oder depressorische Nerven. Die Erfahrung, dass psy¬
chische Einflüsse, Reizung sensibler Nerven, Empfindungen eine
Veränderung in dem Contractionszustande der Gefässe hervorbringen,
dass also unter gewöhnlichen Verhältnissen ein gewisser mittlerer
Contractionszustand der Blutgefässe vorhanden sein muss, erfordert
die Annahme eines gemeinsamen Organes, von welchem die Erregung
der Gefässnerven regulirt und beherrscht wird: dieses regulatorische
Organ wird Gefässnervencentrum oder vasomotorisches
Centrum genannt. Insofern es Erregungen sensibler und anderer
Nerven auf Gefässnerven überträgt, ist es ein re fl ecto risches,
insofern es einen fortdauernden Einfluss auf den Erregungszustand
der Gefässnerven ausübt, ist es ein tonisches Centrum.
Die Nerven, welche die Herzthätigkeit beherrschen und die vaso¬
motorischen Nerven sind unabhängig von einander — beiderlei Ner¬
ven können unter Umständen in gleichem Sinne auf den Blutdruck
einwirken, aber die Wege, auf welchen sie wirken, und die Mecha¬
nismen, durch welche sie gelegentlich in gleichem Sinne wirken, sind
durchaus verschieden.