Das vasomotorische Centrum.
441
nicht das alleinige Centrum der Gefässnerven sei, und Goltz1 kam in
seinen Versuchen über den Tonus der Gefässe zu dem Resultate, dass
dasselbe beim Frosche von dem Rückenmarke abhängig sei, und dass dies
nach den Versuchen von Le Gallois auch für Säugethiere angenommen
werden müsse. Schlesinger'2 fand dann, dass nach Durchschneidung des
Halsmarkes durch Strychnin vergift un g eine Erhöhung des Blut¬
druckes eintritt, und dass bei so behandelten Thieren durch Reizung sen¬
sibler Nerven reflectorische Blutdruckssteigerung hervorgerufen wird, wo¬
raus er auf vasomotorische Centra unterhalb der Medulla oblongata im
Rückenmarke schliesst. Von ganz besonderem Werthe für diese Annahme
sind aber Versuche von Goltz3, in denen er an Hunden, welchen das
Rückenmark durchschnitten worden war, durch Reizung des durchschnit¬
tenen linken Ischiadicus am centralen Stumpfe erst Sinken, dann Steigen
der Temperatur in dem rechten Fusse beobachtete, und zwar in einem
Falle ein Steigen um 6,2°. Einen Versuch der Reflexwirkung auf die
Gefässnerven des Penis bei durchschnittenem Lendenmarke von Goltz
haben wir schon oben (S. 430) angeführt. Bochefontaine4 beobachtete
unter ähnlichen Bedingungen Drucksteigerung, wenn nach Zerquetschung
des Rückenmarks in der Höhe der vorderen Extremitäten der Ischiadicus
gereizt wurde. Versuche, welche Vulpian5 6 zur Stütze der Annahme va¬
somotorischer Reflexapparate im Rückenmarke anstellte, ergaben Tempe¬
raturerniedrigung bei Reizung des Ischiadicus, Temperaturerhöhung bei
Reizung der ungleichnamigen Pfote; die Veränderungen bei Vulpian sind
nur gering. Auch Luchsinger9 bestätigte die Versuche von Goltz be¬
züglich der Gefässerweiterung nach andersseitiger Ischiadicusreizung. Die
Reflexerregbarkeit des Rückenmarks bei Unterbindung der gesammten
Kopfarterien bestätigten Kabierske und Heidenhain7 in einer Anzahl von
ihren Versuchen, sahen aber nicht immer den Druck bei Reizung des
Ischiadicus steigen, selbst bei strychnisirten Thieren nicht constant. Wäh¬
rend Heidenhain die reflectorische Gefässverengerung mit Hülfe des Rücken¬
markes für zweifellos hält, findet er, dass der Umfang des von dem Rücken¬
marke beherrschten Gefässgebietes sehr viel kleiner ist, als der Umfang
des von dem verlängerten Marke beeinflussbaren Gebietes.
Für den Frosch schliesst Nussbaum8 in Uebereinstimmung mit den
früheren Versuchen von Lister9, dass beim Frosche das Rückenmark
selbstständig wie die Medulla oblongata die Gefässinnervation besorgt,
da nicht nach Trennung des Gehirns und der Medulla oblongata, son¬
dern erst nach Exstirpation des ganzen centralen Nervensystems der
Gefässtonus auf hört. Ausserdem werden nach Exstirpation des Gehirns
und des verlängerten Markes Arteriencontractionen in Folge von Rei-
1 F. Goltz. Arch. f. Anat. u. Physiol. XXIX. S. 394.1864.
2 Schlesinger, Wiener med. Jahrb. 1874. S. 1.
3 Goltz, Arch. f. d. ges. Physiol. IX. S. 189. 1874.
■i Bochefontaine, Arch, de physiol, norm, et pathol. 1876. p. 140.
5 Vulpian, Leçons sur l’appareil vasomoteur. I. p. 266 u. fg. 1875.
6 Luchsinger, Arch. f. d. ges. Physiol. XIV. S. 378 Anm. 1877.
7 R. Heldenhain & Kabierske, Arch. f. d. ges. Physiol. X. S. 518. 1875.
8 Nussbaum, Ebenda. X. S. 374. 1875.
9 J. Lister, Philos. Transact. 1858. p. 607.