74 Rollett, Physiologie des Blutes. 3. Cap. Die farblosen Blutkörperchen.
selben Zellen, welche man an anderen Orten ihres Vorkommens als
Lymph-Eiterzellen oder Wanderzellen in den Geweben benennt. Man
hat alle diese Zellen wohl auch als junge oder indifferente Zellen, und
wegen der Form ihrer activen Bewegung als amöboide Zellen bezeich¬
net. Diese Bewegungen sind im I. Band (S. 341) dieses Handbuches
behandelt worden. Max Schultze1 fand im menschlichen Blut meh¬
rere Formen von farblosen Blutkörperchen. Runde, die Grösse der
rothen Blutkörperchen nicht erreichende Zellen, mit einer dünnen
Schichte von Zellsubstanz, um einen oder zwei runde oder gegen ein¬
ander abgeplattete Kerne. An diese reihen sich Formen an, welche
die Grösse der gewöhnlichen farbigen besitzen, mit Kernen wie die
erste Form; endlich kommen die fein- und grobkörnigen amöboiden
Zellen und Uebergänge zwischen den letzteren Zellformen.
Im Blute der Säuger werden ganz ähnliche Formen wie beim
Menschen beobachtet. Bei Kaltblütern (Frosch) kommen ebenfalls
zwei Formen von weissen Blutkörperchen vor (Rindfleisch2, Kneut-
tinger3, Golubew4) : die gewöhnlichen amöboiden Zellen und die mit
stark lichtbrechenden Körnchen erfüllten Körnchenzellen, von welchen
die ersteren sich lebhafter bewegen als die letzteren.
Lässt man auf ein frisches Blutpräparat unter dem Microscope einen
von der Seite her eindringenden Strom indifferenter Flüssigkeit ein¬
wirken (Drainage), so bemerkt man, dass die rothen Blutkörperchen
leicht weggespült werden, während die weissen sich mit Zähigkeit an
Object- und Deckglas anheften. Der Fähigkeit, sich an das Glas an¬
zuheften, verdanken sie auch ihre Fähigkeit, auf dem Objectträger zu
wandern, was dadurch geschieht, dass einem ausgestreckten und an¬
gehefteten Fortsatz der übrige Theil der Zelle nachgeschleppt wird,
dann wieder ein neuer Fortsatz ausgetrieben wird u. s. f. Um sich den
möglichen Erfolg der Dehnbarkeit und Wanderfähigkeit der weissen
Blutkörperchen zu veranschaulichen, erinnere man sich an das von
Ranvier5 mitgetheilte Experiment über die Einwanderung der weissen
Blutkörperchen in ein in den dorsalen Lymphsack des Frosches ein¬
geführtes Stückchen Hollundermark, in welchem man nach 24 Stun¬
den die Zellen in allen Stadien des Durchwanderns der Zellhäute
des Pflanzenparenchyms antrifft, in dessen Innerem sie aber ihre Be¬
weglichkeit verlieren und einer Fettmetamorphose anheim fallen.
1 M. Schultze, Arch. f. mikroskop. Anat. I. S. 1. 1865.
2 Rindfleisch, Experimentalstudien zur Histologie des Blutes S. 21. Leipzig
1863.
3 Kneuttinger, Zur Histologie des Blutes S. 10. Würzburg 1S65.
4 Golubew, Sitzgsber. d. Wiener Acad. LVII. 2. Abtk. S. 555. 1S68.
5 Ranvier, Trait, teclin. d’histol. p. 166. Paris 1875.