Capillarnetze; Bewegung d. rothen Blutkörperchen im Axenstrom.
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IY. Erscheinungen des Blutlaufes in den Capillaren.
Sichtbar wird der Lauf des Blutes in den Capillaren durch die
Ortsveränderung, welche die Blutkörperchen in Folge des Strömens
des Blutes erleiden. Sie zeigen uns die Richtung und die Geschwin¬
digkeit der Strömung an. Wenn wir zunächst die rothen Blutkörper¬
chen in den an die Capillaren anschliessenden kleinen Arterien und
Venen und in weiteren Capillaren, in welchen so wie in jenen eine
Anzahl von rothen Blutkörperchen gleichzeitig denselben Querschnitt
passiren, ins Auge fassen, so ist vor Allem auffallend, dass die Kör¬
perchen durch die Axe des Gefässes strömen, mit der Wand desselben
aber nicht in Berührung kommen, so dass zwischen der letzteren und
den in der Axe dahin eilenden Körperchen ein farbloser heller Raum
übrig bleibt. Nur in den engsten Capillaren, durch welche die Blut¬
körperchen nur einzeln hintereinander hindurchtreten können oder
oft sich hindurch zwängen, ist eine solche helle Randschicht nicht
mehr zu sehen. In solchen engen Gefässen ereignet es sich, dass die
Blutkörperchen in die Länge ausgezogen oder um die Theilungs-
winkel der Gefässe gebogen werden, und dort gleichsam einem Wett¬
kampf der Zweigströme ausgesetzt, einige Zeit haften bleiben oder
nach einigen hin- und hergehenden Bewegungen in den einen der
Zweige entschlüpfen.
Die passiven Formveränderungen, welche die Blutkörperchen dabei
erleiden, wurden von vielen Beobachtern beschrieben: bei E. H. Weber1
finden sich bereits eigene und bis auf Leeuwenhoek reichende ältere
Beobachtungen dieser Art angeführt. Es ist leicht, diese Erscheinungen
zu sehen, wenn man den Kreislauf in Lunge2, Schwimmhaut, Zunge oder
Mesenterium vom Frosch betrachtet. In den Mesenterialgefässen von
Säugethieren sieht man die rothen Blutkörperchen nicht in ihrer Gleich¬
gewichtsfigur im Strome vorwärts treiben, sondern während des Fliessens
gleichzeitig auch hin und her gewalkt werden (Rollett3).
Anders als die rothen Blutkörperchen verhalten sich die weissen
Blutkörperchen (Poiseuille4, Acherson5, E. H. Weber6). Sie be¬
wegen sich nicht rasch, wie die rothen Blutkörperchen und befinden
sich nicht, wie diese, in der Axe des Gefässes, sondern gleiten oder
1 E. H. Weber, Handb. d. Anat. I. S. 159. 160. Braunschweig 1830.
2 Ygl, Hüter, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1873. S. 65. 81. — Holmgreen, Beitr.
z. Anat. u. Physiol. Festgabe f. C. Ludwig, p. XXXIII. Leipzig 1875.
3 Roulett, Sitzgsber. d. Wiener Acad. L. (2) S. 196. 1865.
4 Poiseuille, Rech, sur les causes du mouvement du sang dans les vaisseaux
capülaires. p. 49. Paris 1835.
5 Acherson, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1837. S. 482.
6 E. H. Weber, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1838. S. 467.