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v. Kbies:
Wunsch nahe, dieses Fundamentalgesetz der elektrischen Wirkung genauer,
namentlich auch quantitativ, formuliren zu können, und ebenso die Hoff¬
nung, durch vollständigere Ermittelung desselben auch über das Wesen
des Erregungsvorganges und der elektrischen Reizwirkungen Manches in
Erfahrung zu bringen. Die Bereicherung unserer Kenntnisse, welche die
seit damals verflossenen Jahrzehnte gebracht haben, ist aber keine sehr
erhebliche zu nennen. Gewisse Fälle sind bekannt geworden, in welchen
das ganze Gesetz nicht vollkommen zutreffend ist, vielmehr auch der con¬
stante Strom während seiner Dauer anhaltende Erregungen hervorzubringen
vermag. Es mag genügen, hier an die Beobachtungen von Grützner1 und
Frey2 zu erinnern. Durch den Nachweis einer Anzahl von Ausnahmen
ist indessen die Bedeutung des du B o is-Reymo nd’sehen Grund¬
gesetzes selbstverständlich nicht verringert, und die Aufgabe eines ge¬
naueren Studiums desselben weder gelöst noch beseitigt. Für die eigent¬
liche Hauptfrage aber, wie sich die Abhängigkeit der Reiz Wirkungen von
dem zeitlichen Verlauf der elektrischen Bewegung gestalte, haben wir
nur wenige Beiträge zu verzeichnen. Der Grund hierfür lag nicht in
mangelndem Interesse, sondern vielmehr in der methodischen Schwierig¬
keit, Elektricitätsbewegungen von beliebigem zeitlichem Verlauf herzu¬
stellen. Die bisherigen Ermittelungen gehen daher auch so weit, als es die
bekannten Hülfsmittel gestatten. Wir hätten hier zunächst eine Anzahl
von Arbeiten zu erwähnen, welche die verschiedenen Wirkungen des Oeff-
nungs- und Schliessungs-Inductions-Schlages aus den Verschiedenheiten
ihres zeitlichen Verlaufes zu verstehen lehrten.3 Sodann sind hier die Unter¬
suchungen von Fick4 zu erwähnen, bei welchen sehr kurz dauernde Ströme,
sogenannte Stromstösse, zur Reizung verwendet wurden. Wir haben in
diesen Versuchen eine wirkliche Variirung des zeitlichen Verlaufes, aber
freilich nicht in der voraussichtlich wichtigsten Beziehung, der Steilheit
der Veränderung; die letztere ist vielmehr nicht unabhängig von der zu
erreichenden Stromintensität variirbar, sondern bleibt allemal die enorm
1 P. Grützner, Ueber verschiedene Arten der Nerven-Erregungen. Pflüger’s
Archiv u. s. w. 1878. Bd. XVII.
1 M. v. Frey, Ueber die tetanische Erregung von Froschnerven durch den con-
stanten Strom. Dies Archiv. 1883. S. 43.
3 Nach du Bois-Reymond (Monatsberichte der Berliner Akademie 1862) hat
zuerst Jos. Henry die Verschiedenheit in der physiologischen Wirkung der Oeft'nungs-
und Sehliessungs-Inductionsschläge durch die Einmischung der Extraströme erklärt.
Die genaue Bestimmung des zeitlichen Verlaufes der Inductionsströme verdanken wir
bekanntlich Helmholtz. Poggendorff’s Annalen. 1851. Bd. LXXXIII.
4 Fick, Untersuchungen über elektrische Nervenreizung. 1864.