Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

Gesichtsvorstellungen. 
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Netzhaut, wenn sich die Gegenstände in einer bestimmten, dem jeweiligen 
Brechungszustand der optischen Medien entsprechenden Entfernung befinden. 
Mittelst der Accommodation, bei welcher die Krystalllinse, namentlich 
an ihrer vordem Fläche, stärker gewölbt wird, kann aber das Auge seinen 
Brechungszustand innerhalb gewisser Grenzen verändern und auf diese 
Weise successiv auf Objecte von verschiedener Entfernung sich einstellen1). 
Die Existenz des Netzhautbildes ist die Grundbedingung für die durch 
das Sehorgan vermittelte Auffassung der Welt in räumlicher Form. Jeder 
einzelne Punkt der Netzhaut empfindet die Stärke und Wellenlänge der 
ihn treffenden Lichtschwingungen gemäß den früher aufgestellten Gesetzen 
als Intensität und Qualität des Lichtes. Alle diese elementaren Em¬ 
pfindungen werden aber in Bezug auf den Sehenden räumlich geordnet. 
Dies geschieht bei allen Formen der Netzhauterregung, auch bei solchen, 
welche gar nicht durch die Lichtausstrahlung äußerer Objecte verursacht 
sind, wie bei den Druckbildern und elektrischen Lichtfiguren, die von 
mechanischer und elektrischer Reizung des Auges herrühren, sowie bei den 
entoptischen Erscheinungen, bei denen wir die Schatten im Auge vorhan¬ 
dener undurchsichtiger Theile wahrnehmen2). Ebenso verlegen wir die 
Nachbilder nach außen, gleich als wenn sie unmittelbar in äußeren Ge¬ 
genständen ihre Ursache hätten3). Indem wir nun untersuchen, wie diese 
regelmäßige Beziehung der Netzhautbilder auf einen äußeren Raum und 
auf ausgedehnte Gegenstände in demselben entsteht, wollen wir vorläufig 
die Existenz einer nach drei ebenen Dimensionen angeordneten Außen¬ 
welt als gegeben voraussetzen. Unsere Aufgabe ist es, nachzuweisen, wie 
wir vermittelst der Netzhautbilder diese Außenwelt reconstruiren. Wii 
werden also vorerst davon absehen, dass die Existenz der Außenwelt 
selbst einen wesentlichen Theil ihrer Beglaubigung den Gesichtsvor¬ 
stellungen entnimmt. Um die einzelnen Momente, welche bei der Bildung 
der letzteren Zusammenwirken, möglichst zu trennen, wollen wir 1) das 
Netzhautbild des ruhenden Auges und die in diesem zur Bildung der 
Vorstellung gelegenen Motive erwägen', hieran soll sich 2) die Betrachtung 
des bewegten Auges und des Einflusses der Augenbewegungen an¬ 
schließen, worauf endlich 3) die durch die Existenz zweier in Gemein¬ 
schaft functionirender Sehorgane gegebenen Bedingungen des Sehens zer¬ 
gliedert werden. Es bedarf übrigens kaum der Bemerkung, dass diese 
Trennung durchaus künstlich und nur durch die Uebersichtlichkeit der 
Untersuchung geboten ist. Das Auge ist von Anfang an ein bewegtes 
Organ, und es functionirt normaler Weise stets als Doppelauge. 
1) Lehrb. d. Physiol. § 115. 
3) Siehe I, Cap. IX, S. 435. 
2) Ebend. § 118, 120. 
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