Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

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Gehörsvorstellungen. 
Unter der variabeln Klangverwandtschaft verstehen wir die 
Thatsache, dass verschiedene Klänge je nach dem Yerhältniss ihrer Ton¬ 
höhe in wechselndem Grade mit einander übereinstimmen können, wäh¬ 
rend der allgemeine Charakter derselben ungeändert bleibt. Die variable 
und die constante Klangverwandtschaft sind natürlich nicht ganz unab¬ 
hängig von einander. Namentlich muss der Umstand, ob ein Klang dem 
starken Mitklingen der Partialtöne oder dem Mangel derselben, ob er den 
geradzahligen oder ungeradzahligen Partialtönen seine charakteristische Fär¬ 
bung verdankt, auch die variable Klangverwandtschaft beeinflussen. Es 
würde uns zu weit führen, die mannigfachen Modificationen zu unter¬ 
suchen, welche die von der Tonhöhe abhängige Verwandtschaft in Folge 
dieser Verhältnisse des constanten Klangcharakters erfahren kann. Es mag 
daher an dem allgemeinsten Fall genügen, der für die Feststellung der 
variabeln Klangverwandtschaft, wie sie sich in den Gesetzen der musika¬ 
lischen Harmonie ausgeprägt hat, vorzugsweise bestimmend gewesen ist 
Dies ist jene Verwandtschaftsbeziehung, welche die Klänge darbieten, wenn 
in ihnen [der Grundton von höheren Obertönen begleitet wird, deren 
Schwingungszahlen das 2-, 3-, 4fache u. s. w. der Schwingungszahl des 
Grundtons betragen, und deren Intensität rasch abnimmt, so dass sie im 
allgemeinen höchstens bis zum zehnten Partialton zu berücksichtigen sind. 
Ein Klang von der hier vorausgesetzten Beschaffenheit entspricht nach 
früheren Erörterungen dem allgemeinsten Schwingungsgesetz tönender 
Körper, indem die letzteren in der Regel, während sie als ganze schwin¬ 
gen, zugleich in ihren einzelnen Theilen Schwingungen ausführen, die sich 
wie die Reihe der einfachen ganzen Zahlen verhalten1). Wo vermöge 
besonderer Bedingungen der Klangerzeugung einzelne Glieder dieser Reihe 
ausfallen, da werden doch in größeren Zusammenklängen solche Lücken 
regelmäßig ergänzt, wie dies namentlich das Beispiel unserer modernen 
Harmoniemusik zeigt. Einen in der angegebenen Weise von gerad- und 
ungeradzahligen Obertönen mit rasch abnehmender Intensität begleiteten 
Klang können wir darum einen vollständigen Klang nennen. In der 
That ist ein solcher, während sein eigener Charakter unverändert bleibt, 
am besten geeignet, die von der Tonhöhe abhängige Klangverwandtschaft 
hervorzuheben. Da auf der letzteren die Gesetze der musikalischen Klang¬ 
verbindung beruhen, so kann sie auch die musikalische Verwandtschaft 
der Klänge genannt werden. Wir können zwei Fälle derselben unter¬ 
scheiden: entweder sind verschiedene Klänge direct mit einander ver¬ 
wandt, indem sie gewisse Bestandtheile mit einander gemein haben; oder 
sie sind indirect verwandt, insofern nämlich, als sie selbst Bestandtheile 
1) Vgl. I, S. 418 f.
	        
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