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Ausdnicksbewegungen.
sonders von A. Marty1) und L. Noire2) hervorgehoben, wobei der erstere auf
die Absichtlichkeit'der Gedankenmittheilung, der letztere auf die bei gemeinsamer
Thätigkeit hervorgebrachten Laute und die Fortpflanzung derselben durch Nach¬
ahmung Gewicht legt.
Mehrfach sind auch über die Sprachentwicklung des Kindes Untersuchungen
gesammelt worden, um aus ihr über das Problem des Ursprungs der Sprache
Aufschluss zu gewinnen3). Seine ersten articulirten Laute bringt das Kind
selbstthätig hervor, ohne mit denselben die Absicht der Sprachäußerung zu
verbinden. Sie bestehen in einsilbigen Lauten einfachster Art, ba, ma, pu
u. dergl.; später verbinden sich dieselben zu Reduplicationsformen, wie baba,
mama, die manchmal in mehrfacher Wiederholung auf einander folgen. Der
auf diese Weise schon in den ersten Lebensmonaten gesammelte Lautvorrath
dient bei der Entwicklung der Sprache, die zu Ende des ersten oder im Laufe
des zweiten Lebensjahres zu beginnen pflegt. Diese Entwicklung ist keine
selbstthätige mehr, sondern sie geschieht, indem der Erwachsene unter Zuhilfe¬
nahme von Geberden den Lauten ihre Bedeutung anweist. Hierbei bemerkt man,
dass das Kind nur gewissen einfachen, namentlich demonstrirenden Geberden
ein unmittelbares Yerständniss entgegenbringt, Indem es den Sprachlaut mit
der Geberde und der durch sie erweckten Vorstellung associirt, wird dann der
erstere allmählich auch ohne diese Begleitung verstanden und zum Zwrnck der
Bezeichnung hervorgebracht. In der Erzeugung von Geberden zeigt daher auch
das Kind am ehesten eine gewisse Selbständigkeit. So beobachtete ich, dass
von einem Kinde als Zeichen der Verneinung statt des Kopfschüttelns eine ähn¬
liche Hin- und Herbewegung der Hand benutzt wurde, ohne dass irgend ein
Vorbild zu dieser speciellen Geberde nachgewiesen werden konnte. Von vielen
Beobachtern ist angenommen worden, dass auch einzelne articulirte Laute der
Kindersprache von den Kindern selbst zuerst als Klanggeberden für gewisse Vor¬
stellungen ausgingen4). Aber die beigebrachten Beispiele erinnern doch in ver¬
dächtiger Weise an bekannte Wörter von analoger Bedeutung, so z. B. der von
Steinthal angeführte Laut lu-lu-lu, den ein Kind beim Anblick rollender Fässer
ausstieß, an »rollern, der von Taine im demonstrativen Sinne beobachtete Laut
tem an »tiens«. Ich habe bei zweien meiner eigenen Kinder über alle bei
ihnen entstehenden Sprachlaute sorgfältig Buch geführt, und in keinem der
beiden Fälle ist es mir geglückt einen bezeichnenden Laut aufznfmden, der
nicht nachweisbar aus der Nachahmung seinen Ursprung genommen hätte. Bei
1) Ueber den Ursprung der Sprache. Würzburg 4 876, S. 63 ff. Im ersten Theil
seiner Schrift gibt Marty eine kurze Uebersicht der bisherigen Theorien. Die von ihm
gewählte Eintheilung derselben in nativistis che und empiristische dürfte jedoch
kaum angemessen sein, da die meisten Theorien, welche Marty als nativistische auf¬
führt, einen genetischen Charakter besitzen, also zum eigentlichen Nativismus in
vollem Gegensatz sich befinden. Es kommt hier die schon bei den Theorien der
Sinneswahrnehmung leicht zu machende Bemerkung zur Geltung, dass Nativismus und
Empirismus falsche Gegensätze sind. (Vgl. oben S. 28.)
2) Der Ursprung der Sprache. Mainz 4 877, S. 323 ff. Logos, Ursprung und Wesen
der Begriffe. Leipzig 4 885.
3) Vgl. bes. Steinthal, Abriss der Sprachwissensch. I, S. 290, 376 ff. H. Taine,
Revue philos. Janv. 4 876. Der Verstand, I, S. 283 ff. Darwin, Mind, July 4 877. Preyer,
Kosmos, II, 4 878 , S. 22, und Deutsche Rundschau, Mai 4 880, S. 4 98. Fr. Schultze
Kosmos, IV, 4 880, S. 23.
4) Steinthal, Abriss der Sprachwissenschaft, I, S. 382. Taine a. a. 0.