Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

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Ausdrucksbewegungen. 
Nicht unter die Wurzeln der Sprache pflegt man die Interjectionen zu 
rechnen, die bekanntlich schon durch ihre Gleichförmigkeit in verschiedenen 
Sprachen sich auszeichnen. Als reine Gefühlsausbrüche ohne Beziehung 
auf bestimmte Vorstellungen sind sie auch psychologisch wesentlich von 
der eigentlichen Klanggeberde verschieden. Während die letztere, gleich 
den Zeichen der natürlichen Geberdensprache, vollständig unserm dritten 
Princip der Ausdrucksbewegungen untergeordnet ist, haben die Interjec¬ 
tionen die Bedeutung von Stimmreflexen, welche auf einer directen In¬ 
nervationsänderung beruhen, dabei aber gleichzeitig in ihrer Form durch 
die mimischen Bewegungen bestimmt sind, die den Analogien der Em¬ 
pfindung gemäß durch den betreffenden Eindruck erregt werden. So ist 
apf die Interjection der Verwunderung das plötzliche Oeffnen des Mundes, 
welches diesen Affect begleitet, auf die Interjection des Abscheus die Ekel¬ 
bewegung der Antlitzmuskeln von Einfluss, u. s. w. Bei diesen reinen 
Gefühlsausdrücken der Sprache sind also das erste und zweite Princip der 
Ausdrucksbewegungen wirksam. 
Man pflegt anzunehmen, dass dem Bewusstsein des heute lebenden 
Menschen die Fähigkeit eine Lautsprache zu entwickeln ganz oder großen¬ 
teils verloren gegangen sei. Diese Vermuthung stützt sich hauptsächlich 
auf den Umstand, dass in der Sprache jene innere Beziehung zwischen 
Sprachlaut und Vorstellung, welche wir zur Erklärung ihrer Entstehung 
voraussetzen müssen, fast nirgends mehr anzutreffen ist. Den Uebergang 
in ein äußeres Zeichensystem erklärt man aus einer Abnahme der Phan- 
tasiethätigkeit, welche überdies in manchen andern Erscheinungen, wie 
z. B. in dem Erblassen der mythologischen Vorstellungen, sich bestätige. 
Es ist aber nicht zu übersehen, dass die Sprache durch die Entwicklung 
des abstracteren Denkens, das sie ermöglicht, an diesem Zurücktreten der 
sinnlichen Lebendigkeit des Denkens wahrscheinlich die größte Schuld 
trägt1), während dagegen der Uebergang der Sprachsymbole in äußere 
Zeichen von scheinbar willkürlicher Bedeutung schon durch den Uebergang 
in ein geläufiges Zeichensystem bedingt war, welcher Uebergang ein 
allmähliches Unkenntlichwerden der ursprünglichen Lautbeziehungen her¬ 
beiführen musste. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass noch heute in 
einer Gemeinschaft von Menschen der Process ursprünglicher Sprachent¬ 
wicklung sich wiederholen würde, wenn der Einfluss einer bereits exi- 
stirenden Sprache auf dieselben ausgeschlossen bliebe. In der That kann 
wohl das schon angeführte Beispiel der Taubstummen, welche sich eine 
natürliche Geberdensprache bilden, als ein Zeugniss für diese Fortdauer 
des Sprachtriebes angesehen werden. Ebenso scheint es, dass bei dem 
1) Vgl. S. 371 ff.
	        
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