Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

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Ausdrucksbewegungen. 
Die Klanggeberden, die den Charakter ursprünglicher den Affect 
äußernder Triebbewegungen besitzen, sind jedoch an und für sich noch 
keine Sprache, sondern sie bilden nur die unerlässliche Grundlage der 
sich entwickelnden Lautsprache, ähnlich wie die allgemeinen Ausdrucks¬ 
bewegungen eine solche Grundlage bilden für die Geberdensprache. Die 
Sprache selbst entsteht erst in dem Moment, wo die Klanggeberde, be¬ 
gleitet von andern Geberden, die zu ihrem Verständnisse beitragen, in 
der Absicht der Mittheilung subjectiver Vorstellungen und Affecte an 
Andere gebraucht wird, in dem Moment also, wo die ursprüngliche Trieb¬ 
bewegung zur willkürlichen Handlung wird. Die Absicht des Ein¬ 
zelnen würde aber ohne Erfolg bleiben, wenn nicht eine übereinstimmende 
Entwicklung der Triebe und des Willens in den andern Mitgliedern der Ge¬ 
meinschaft ihr entgegenkäme, und wenn nicht auch hier der Nachahmungs¬ 
trieb verbunden mit dem Streben nach Verständigung zu einer Fixirung 
der einmal entstandenen Lautzeichen wesentlich beitrüge. Bei der Ent¬ 
wicklung der Sprache werden wir sonach drei Stadien unterscheiden 
können: 1) das Stadium der triebartigen Ausdrucksbewegungen, 
2) das Stadium der willkürlichen Verwendung dieser Bewe¬ 
gungen zum Zweck der Mittheilung, und 3 das Stadium der Ausbrei¬ 
tung der Bewegungen durch zuerst triebartige, dann ebenfalls will¬ 
kürliche Nachahmung. Doch werden diese Entwicklungsstadien nicht als 
streng geschiedene Zeiträume zu denken sein. Vielmehr wird wahr¬ 
scheinlich, während noch neue triebartige Ausdrucksbewegungen entstehen, 
schon eine willkürliche Verwendung der bereits vorhandenen stattfinden; 
namentlich aber die zweite und dritte Stufe sind als nahezu simultane 
Vorgänge anzunehmen, da der willkürliche Gebrauch der Geberden und 
Laute keinen Erfolg hätte und deshalb sofort erlöschen würde, wenn ihm 
nicht der Nachahmungstrieb und die übereinstimmende Willensentwick¬ 
lung der übrigen Mitglieder der Gesellschaft fördernd entgegenkämen. 
Die Ursprache des Menschen haben wir uns somit wohl als eine 
Reihe ein- oder mehrsilbiger Laute* 1) zu denken, die, von Geberden be¬ 
gleitet, concrete Vorstellungen ohne weitere grammatische Beziehungen 
ausdrückten, ähnlich wie heute noch die stumme Geberde in der natür¬ 
lichen Sprache der Taubstummen. Es ist bekannt, dass unter den leben¬ 
den Sprachen manche, namentlich das Chinesische, Annäherungen an diese 
1) Nach vielen Sprachforschern sind alle Sprachen aus monosyllabischen Wurzeln 
aufgebaut (W. v. Humboldt, Ueber die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues. 
Werke, VI, S. 886, 405. Max Müller, Vorlesungen über die Wissenschaft der Sprache, 
1, Leipzig 1 863, S. 220). Aber diese Regel ist nur von einzelnen Sprachstämmen, na¬ 
mentlich dem indogermanischen, abstrahirt worden. Gewisse Wurzeln können, wie 
W. Bleek bemerkt, schon deshalb nicht einsilbig sein, weil sie mehrsilbige Schallein¬ 
drücke nachahmen (Bleek, Ueber den Ursprung der Sprache. Weimar 1 868, S. 55).
	        
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