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Ausdrucksbewegungen.
uns, den Gemütsbewegungen Luft zu machen, wobei zugleich, wie bei
jeder Triebäußerung, die eintretende Bewegung in einer mehr oder weniger
deutlich erkennbaren Beziehung steht zu dem erregenden Eindruck. So
wird die Vorstellung durch die Geberde ausgedrückt, ohne dass ursprüng¬
lich nothwendig eine besondere Absicht der Mittheilung im Spiele zu sein
braucht. Aber der Mensch findet sich von Anfang an unter andern
Menschen. Die Geberde, die eine reine Affectäußerung ist, wird von
gleichgearteten Wesen verstanden und so zum Hülfsmittel absichtlicher
Mittheilung. Die anfängliche Trrebbewegung geht in eine willkürliche
Bewegung über, die zu dem Zweck hervorgebracht wird, Vorstellungen
und Gefühle mitzutheilen an Andere. Wie schon bei dem Ursprung der
Geberde der Nachahmungstrieb zur Nachbildung äußerer, das Gefühl er¬
regender Vorgänge anregt, so bewirkt derselbe weiterhin eine Nachbildung
von Seiten des Mitmenschen, an den die Geberde sich wendet, ein Vor¬
gang, der zur Befestigung und Ausbreitung bestimmter pantomimischer
Bewegungen wesentlich beiträgt. Je öfter aber die gleiche Geberde ge¬
braucht wurde, um so mehr geht sie in ein conventionelles Zeichen für
die Vorstellung über, welches nun auch ohne einen besonderen Antrieb
des Affectes benutzt werden kann. Indem der Gesichtskreis des Sprechenden
sich erweitert, sucht er dann nach Zeichen, durch welche er verwandte
Vorstellungen von einander scheide. So greift, in dem Maße als die Ge¬
berden Hülfsmittel der Mittheilung für eine denkende Gemeinschaft werden,
mehr und mehr die Willkür in den Gebrauch derselben ein. Nie freilich
kann dieselbe in der Entwicklung der natürlichen Geberdensprache an
sich bedeutungslose Zeichen hervorbringen. Immer muss dem individuell
erzeugten Symbol das Verständniss von Seiten des Andern, an den die
Mittheilung geht, entgegenkommen, was nur so lange möglich ist, als eine
Beziehung der Geberde zu der Vorstellung, die sie bedeuten soll, existirt.
Da nun die menschliche Natur aller Orten die nämliche ist, so begreift
es sich, dass unter den verschiedensten Umständen, wo eine reine Ge¬
berdensprache sich ausbilden kann, bei den Taubstummen verschiedener
Länder, zwischen wilden Stämmen, die ohne gemeinsame Lautsprache
verkehren, im wesentlichen immer wieder ähnliche Zeichen für ähnliche
Vorstellungen gebraucht werden. Die Mittheilung durch Geberden ist
daher eine wahre Universalsprache, in der es übrigens immerhin an ein¬
zelnen, so zu sagen dialektischen Verschiedenheiten nicht fehlt, die den
besondern Bedingungen, unter denen sie sich ausbildet, entsprechen1).
Die einfachste Weise, in welcher eine Vorstellung ausgedrückt werden
kann, ist die unmittelbare Hinweisung auf den Gegenstand. Dieses Hülfs-
1) E. B. Tylor, Forschungen über die Urgeschichte der Menschheit, S. 44 ff.