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Ausdrucksbewegungen.
sentlich verschieden sind. Das erste nennt er das Princip zweckmäßig asso-
ciirter Gewohnheiten. Gewisse complicirte Handlungen, die unter Umständen
von directem oder indirectern Nutzen waren, sollen in Folge von Gewohnheit
und Association auch dann ausgeführt werden, wenn kein Nutzen mit ihnen
verbunden ist. Das zweite Princip ist das des Gegensatzes. Wenn gewisse
Seelenzustände mit bestimmten gewohnheitsmäßigen Handlungen verbunden sind,
so sollen die entgegengesetzten Zustände sich aus bloßem Contrast mit den
entgegengesetzten Bewegungen verbinden. Nach dem dritten Princip endlich
werden Handlungen von Anfang an unabhängig von Willen und Gewohnheit
durch die bloße Constitution des Nervensystems verursacht. Ich kann nicht ver¬
hehlen, dass mir diese drei Principien weder richtige Verallgemeinerungen der
Thatsachen zu sein, noch die letzteren vollständig genug zu enthalten scheinen.
Ein wirklicher oder scheinbarer Nutzen lässt sich bei den Ausdrucksbewegungen
natürlich schon deshalb in gewissem Umfang beobachten, weil sie ursprünglich
Reflexe sind und als solche dem Gesetz der Zweckmäßigkeit und der Anpassung
unterworfen1). Sie sind dies aber, wenigstens bei dem Individuum, schon ver¬
möge der Constitution des Nervensystems. Hier fließen also Darwin’s erstes
und drittes Princip in einander. Ueber die Ursachen, weshalb solche zweck¬
mäßige Reflexe auch auf andere Sinneseindrücke übertragen werden, wo von
einem Nutzen derselben nicht mehr die Rede sein kann, darüber geben jedoch
Darwin’s Sätze keinen Aufschluss. Hier kommt nun theils das Princip der Ver¬
bindung analoger Empfindungen theils das Princip der Beziehung der Bewegung
zu Sinnesvorstellungen zur Anwendung, die beide in Darwin s Aufstellung nicht
enthalten sind. So ist denn auch bei diesem das Gesetz des Contrastes ein
offenbarer Nothbehelf. Dafür dass eine Ausdrucksbewegung als Contrast zu
einer andern auftrete, muss doch ein psychologischer Grund aufgefunden werden.
Ein solcher führt aber immer wieder auf die von uns oben formulirten Prin¬
cipien des Ausdrucks und damit auf positive Bedingungen für die betreffende
Bewegung zurück. Wenn z. B. der Huncf, seinen Herrn liebkosend, eine Hal¬
tung darbietet, die jener, wo er sich einem andern Hunde feindlich naht, gerade
entgegengesetzt ist2), so hat dies seinen Grund theils in den Eigenschaften der
Tast- und Muskelempfindungen, die das Wedeln des Schwanzes und die Win¬
dungen des Körpers begleiten, theils in der Furcht vor dem Herrn, die sich
in der gebückten Stellung kundgibt, also in Bewegungen, die wieder in Ana¬
logien der Empfindung und in der Beziehung zu Vorstellungen begründet sind.
Abgesehen von diesen unzureichenden psychologischen Ausführungen sein er Theorie
hat übrigens Darwin das Verdienst, ein außerordentlich reiches Material von
Beobachtungen gesammelt und die Bedeutung der Vererbung auch auf diesem
Gebiet durch zahlreiche Beispiele nachgewiesen zu haben.
Es bedarf wohl kaum der Bemerkung, dass die drei oben aufgestellten
Principien nicht die eigentlichen Erklärungsgründe der Ausdrucksbewegungen,
sondern lediglich eine allgemeine Unterscheidung und Einteilung ihrer Haupt-
formen enthalten sollen. Ihrem Ursprünge nach besitzen ja die Ausdrucksbe¬
wegungen keine specifische Bedeutung, da sie, wie schon oben betont wurde,
theils den Trieb-, theils den Willkür-, theils endlich den Reflexbewegungen
unterzuordnen sind. Ihre allgemeine Theorie fällt daher mit derjenigen dieser
4) Siehe Gap. XXI, S. 490.
2) Darwin a. a. O. S. 51 f.