Allgemeine Formen der Ausdrucksbewegungen.
511
Zähler, der Ereignisse einer fernen Vergangenheit berichtet, braucht wohl
die gleiche Bewegung, wenn ein ähnlicher Affect in ihm aufsteigt. Nach
Darwin s Ermittelungen scheint übrigens diese Geberde nur bei Völkern
heimisch zu sein, welche mit den Fäusten zu kämpfen pflegen1). Bei
heftigem Zorn kann sich die nämliche Bewegung mit der Entblößung der
Zähne verbinden, als sollten auch diese zum Kampfe verwendet werden.
Als Gegensatz zu dem aggressiven Emporrecken des Halses, wie es dem
Zorn und energischen Muth eigen ist, erscheint das Achselzucken, eine
ursprünglich wohl dem ängstlichen Verbergen und andern zweifelhaften
Gemüthslag'en eigenthümliche Geberde, die bei uns zum gewöhnlichen
Ausdruck der Unentschiedenheit geworden ist. Wir können es als eine
unwillkürliche Rückzugsbewegung, oder, wo es sich, wie oft beim eigent¬
lichen Zweifel, mehrmals wiederholt, als einen Wechsel zwischen Angriff
und Rückzug auffassen. Von ähnlicher Bedeutung sind die Geberden der
Bejahung und Verneinung. Bei der ersteren neigen wir uns einem fin-
girten Objecte zu, bei der letzteren wenden wir uns mehrmals von dem¬
selben ab. Endlich fällt unter dieses Princip fast die ganze Mimik des
Au ges. Bei gespannter Aufmerksamkeit ist der Blick fest und fixirend,
auch wenn das Object, dem sich unser aufmerksames Nachdenken zu¬
wendet, nicht gegenwärtig ist. Ferner öffnet sich das Auge weit im Mo¬
ment der Ueberraschung ; es schließt sich plötzlich beim Erschrecken. Der
Verachtende wendet den Blick zur Seite, der Niedergeschlagene kehrt ihn
zu Boden, der Entzückte nach oben. Von den Bewegungen des Auges
hängt zugleich der mimische Ausdruck seiner Umgebung ab. So legt sich
bei lebhaft geöffnetem Auge die Stirn in horizontale, bei fest fixirendem
Blick in verticale Falten. Die senkrechte Stirnfurchung verbunden mit
dem gespannten Blick wird durch ihre Uebertragung auf verschiedenartige
Vorstellungen ein sehr verbreiteter mimischer Zug, welcher angestrengtes
Nachdenken, Sorge, Kummer, Zorn ausdrücken kann. Erst die übrigen
Ausdrucksbewegungen können in diesem Fall Licht werfen auf die beson¬
dere Richtung der Stimmung.
Es wurde schon bemerkt, dass die drei hier erörterten Principien des
Ausdrucks zu einem gemeinsamen Effect sich combiniren können. So sind
denn in der That meistens die Aeußerungen der Gemüthsbewegungen von
zusammengesetzter Art und bedürfen daher einer Zergliederung in ihre
Elemente. Diese Untersuchung der einzelnen mimischen Formen liegt
außerhalb unserer Aufgabe2), bei der es sich bloß um die Nachweisung
1) Darwin a. a. O. S. 252.
2} Man vergleiche hierüber namentlich die angeführten Werke von Darwin und
Piderit , sowie meinen Aufsatz über den Ausdruck der Gemüthsbewegungen, Essays,
S. 222.’