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Ausdrucksbewegungen.
der Zunge entfernen. Bittere Stoffe verschlucken wir, während der Gaumen
stark gehoben und die Zunge niedergedrückt wird, damit beide möglichst
wenig den Bissen berühren. Kosten wir dagegen süße Stoffe, so werden
Lippen und Zungenspitze denselben in schwachen Saugebewegungen ent¬
gegengeführt, um möglichst mit dem angenehmen Reiz in Berührung zu
kommen1). Diese Bewegungen haben sich nun so fest mit den betreffen¬
den Geschmacksempfindungen associirt, dass ein reproducirtes Bild der
letzteren, ohne die thatsächliche Einwirkung eines Geschmacksreizes, durch
die Bewegung selbst schon entsteht. Sobald daher Affecte in uns auf¬
steigen, die mit den sinnlichen Gefühlen, welche an jene Empfindungen
gebunden sind, eine Verwandtschaft besitzen, so werden nun die näm¬
lichen Bewegungen ausgeführt, die dem Affecte in der analogen Empfin¬
dung im Gebiet des Geschmacksorgans einen sinnlichen Hintergrund geben.
Alle jene Gemüthsstimmungen, welche auch die Sprache mit Metaphern
wie bitter, herbe, süß bezeichnet, combiniren sich daher mit den ent¬
sprechenden mimischen Bewegungen des Mundes2). Einförmiger ist die
Mimik der Nase. Hier wechseln nur Oeffnen und Schließen der Nasen¬
löcher, um bald die Aufnahme angenehmer, bald die Abwehr unange¬
nehmer Geruchseindrücke zu unterstützen, Bewegungen, die dann in ähn¬
licher Weise wie die mimischen Reflexe des Mundes auf alle möglichen
Lust- und Leidaffecte übertragen werden3).
Das Princip der Beziehung der Bewegung zu Sinnesvor¬
stellungen beherrscht wohl alle die Mienen und Geberden, die sich auf
die zwei vorigen Grundsätze nicht zurückführen lassen. So werden die
Ausdrucksbewegungen der Arme und Hände vor allem durch dieses Prin¬
cip bestimmt. Wenn wir mit Affect von gegenwärtigen Personen und Din¬
gen sprechen, weisen wir unwillkürlich mit der Hand auf sie hin. Ist
aber der Gegenstand unserer Vorstellung nicht anwesend, so fingiren wir
wohl denselben irgendwo in unserm Gesichtsraum, oder wir deuten nach
der Richtung, in der er sich entfernt hat. Gleicherweise bilden wir in
affectvollem Sprechen oder Denken Raum- und Zeitverhältnisse nach, in¬
dem wir das Große und Kleine durch Erhebung und Senkung der Hand,
Vergangenheit und Zukunft durch Rückwerts- und Vorwärts winken an¬
deuten. In der Empörung über eine Beleidigung ballen wir die Faust,
selbst wenn der Beleidiger gar nicht anwesend ist, oder wir doch nicht
entfernt die Absicht haben ihm persönlich zu Leibe zu gehen; ja der Er-
1) Vorlesungen über die Menschen- und Thierseele, II, S. 3 48.
2) Piderit , Wissenschaftliches System der Mimik und Physiognomik. Detmold
i867, S. 69.
3) Ebend. S. 90 f.