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Einfluss des Willens auf die Körperbewegungen.
wegungen in Triebhandlungen und Reflexe braucht kaum noch hingewiesen
zu werden. Nur der Umstand, dass die Leistungen des Willens allmählich
zu mechanischen Erfolgen sich befestigen, ermöglicht es demselben zu
immer neuen Leistungen fortzuschreiten. Die nämliche Sicherheit, welche
man für die Willensäußerungen dadurch gewährleistet sah, dass ihnen die
Natur von Anfang an einen zweckmäßigen Mechanismus zur Verfügung
stellte, wird durch jene Entwicklung erreicht, und sie wird um so gew isser
erreicht, als der Wille selbst sich im Laufe der Zeit die mechanischen
Vorrichtungen schafft, die seinen Zwecken dienen sollen.
Der allmähliche Uebergang, der zwischen den einzelnen Formen der Körper¬
bewegung stattfindet, bringt es mit sich, dass die einzelnen Entwicklungsstufen
nicht in jedem einzelnen Fall durch die objective Beobachtung sicher unter¬
schieden werden können. So muss es bei vielen Bewegungen des Neuge¬
borenen unbestimmt bleiben, ob sie als Triebbewegungen oder als Reflexe an¬
zusehen sind. Die mimischen Reflexe z. B., die unmittelbar nach der Geburt
durch die Einwirkung süßer, saurer und bitterer Geschmacksstoffe auf die
Zunge hervorgerufen werdenx), dürften schon die Bedeutung einfacher Trieb¬
bewegungen besitzen, da sie ohne Zweifel von Empfindungen begleitet sind und
ein Streben oder Widerstreben gegenüber den äußeren Reizen ausdrücken.
Ebenso sind die Saugbewegungen, welche bei Berührung der Lippen, nament¬
lich bei gleichzeitigem Vorhandensein von Hungerempfindungen, entstehen, als
Triebbewegungen aufzufassen. Dagegen sind die unregelmäßigen Bewegungen
der Arme und Beine großentheils wohl automatischen Charakters, und die an¬
fänglichen Bewegungen des Auges bei Lichteindrücken, die Körperbewegungen
bei Tasteindrücken, das wegen der anfänglichen Verklebung der Ohrkanäle in
der Regel erst nach mehreren Tagen zu beobachtende Zusammenfahren bei
Schallreizen sind wahrscheinlich reine Reflexe. Es ist bei dieser Unterscheidung
zu beachten, dass nicht jede auf Einwirkung eines Reizes stattfindende Bewe¬
gung, bei der den Reiz zugleich eine bewusste Empfindung begleitet, darum
schon als eine Triebbewegung angesprochen werden darf; das Kriterium der
letzteren besteht immer darin, dass sie als eine in den Formen des Begehrens
oder Widerslrebens auftretende Reaction des Willens gegenüber dem äußeren
Reize erscheint. Darum sind z. B. die in Cap. XVIII (S. 40 6) geschilderten
körperlichen Rückwirkungen der Affecte zu einem nicht geringen Theil Reflexe
oder auch automatische Bewegungen, die aus einer längere Zeit den Eindruck
überdauernden Erregung der Nervencentren entspringen. Das Zusammensinken
beim Schreck, das Lachen und Weinen bei Freude und Trauer sind ebenso
rein reflectorische und theilweise automatische Erfolge der Erregung wie das
Erröthen bei der Scham, die Veränderung des Herzschlages bei den verschie¬
densten Affecten, der Thränenerguss und andere Rückwirkungen auf die dem
Willen entzogenen Muskeln oder Secretionsorgane. Dagegen vermengen sich
schon in den Gesticulationen des Zornigen automatische Erregungen mit Trieb¬
äußerungen, wie sie in der geballten Faust, in dem Knirschen der Zähne sich
verrathen. Zu dem Reflex des Zusammenfahrens gesellt sich beim Schreck eine
4) Kussmaul, Untersuchungen über das Seelenleben des neugeborenen Menschen.
Leipzig und Heidelberg 4 859, S. 4 6 ff.