Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

Triebbewegungen und willkürliche Bewegungen. 
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Lebens vollzieht, so erkennt man deutlich, dass einzelne ursprünglich 
willkürliche Bewegungsacte allmählich mechanisch werden, indem sie zu¬ 
erst in Triebbewegungen sich um wandeln, die auf eine bestimmte be¬ 
wusste Empfindung, nicht selten auf eine vorangegangene Bewegungs¬ 
empfindung, mit mechanischer Sicherheit, aber meistens noch begleitet von 
einem deutlichen Gefühl befriedigten Triebes, eintreten, worauf sie dann, 
dadurch dass auch die Empfindung aus dem Bewusstsein verschwindet, 
völlig den Charakter von Reflexen annehmen können1). Auf diese Weise 
sind diejenigen Handlungen, die man gewöhnlich als willkürliche bezeichnet, 
meistens Complexe aus wirklich willkürlichen Bewegungen, aus Triebbe¬ 
wegungen und aus rein mechanischen Beflex- und Mitbewegungen. 
Vergleichen wir mit den Erfolgen der individuellen Uebung die com- 
plicirteren Instincthandlungen der Thiere, so können sichtlich die letzteren 
nur erklärt werden, wenn man annimmt, dass ein ursprünglicher Trieb 
allmählich willkürliche Handlungen in seine Dienste genommen hat, die 
dann, auf die Organisation zurückwirkend, zu mechanisch eingeübten Trieb¬ 
handlungen geworden sind. Ebenso werden wir in allen jenen oft höchst 
zweckmäßigen und zusammengesetzten Reflexen, die man bei Thieren be¬ 
obachtet, welchen die zu den Functionen des Bewusstseins unerlässlichen 
Centraltheile mangeln, die Residuen eingetibter Willkürbewegungen sehen 
dürfen. Die individuelle Entwicklung unterstützt so die aus der generellen 
geschöpfte Annahme, dass sich nicht die Willenshandlungen aus Reflexen 
entwickelt haben, sondern dass im Gegentheil die zweckmäßigen Reflex¬ 
bewegungen stabil und mechanisch gewordene Willenshandlungen sind. 
Die gesammte Entwicklung der thierischen Bewegungen müssen wir hier¬ 
nach als eine divergirende auffassen. Die Triebbewegungen bilden 
den Ausgangspunkt einerseits für die Ausbildung der höheren Willens¬ 
handlungen, der WAllkürbewegungen, anderseits für die Entstehung 
der ohne Betheiligung des Bewusstseins erfolgenden reflectorischen 
und automatischen Bewegungen, welche letzteren aber nicht bloß 
aus den ursprünglichen Triebbewegungen sondern fortwährend auch aus 
den Willkürbewegungen hervorgehen. Zugleich geschieht diese Rückver¬ 
wandlung der Willkürbewegungen wahrscheinlich immer durch das Mittel¬ 
glied der Triebbewegungen : zuerst ist die eine Bewegung auslösende 
Sinneserregung noch von Empfindungen und Triebgefühlen begleitet, dann 
verschwinden diese allmählich, und die Auslösung der Bewegung erscheint 
nun als ein bloß mechanischer Vorgang. 
Auf die wichtigen Folgen dieser Rückverwandlung der Willkürbe- 
4) Man vergleiche hierzu die Bemerkungen über den Uebergang der zusammen¬ 
gesetzten Reactionsvorgänge in die automatische Form, Cap. XVI, S. 319 ff.
	        
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