Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

Theorie der Localisation und der räumlichen Tastvorstellungen. 
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eine Absicht zuschreibt, die bei ihrer Aufstellung nicht bestanden hat, und die 
in Wahrheit bei keiner Theorie berechtigter Weise bestehen kann. Wir können 
niemals eine geistige Schöpfung, ähnlich etwa wie eine mechanische Bewegung, 
aus ihren elementaren Bedingungen mit mathematischer Evidenz Voraussagen. 
Bei den höheren geistigen Erzeugnissen ist dies uns Allen geläufig; dass bei 
den gewöhnlichsten Vorstellungsbildungen schon das nämliche Verhältniss geistiger 
Causalität stattfindet, ist aber eine noch immer vielfach übersehene Thatsache. 
Der Hinweis auf die chemische Synthese will dies nur durch ein für unsere 
heutige Erkenntnissstufe augenfälliges Beispiel versinnlichen : Niemand kann die 
Eigenschaften des Wassers aus denen des Wasserstoffs und des Sauerstoffs 
vorhersehen, obgleich Niemand bezweifelt, dass sich jenes aus diesen zusam¬ 
mensetzt. Sachlich ist diese Analogie deshalb keine ganz zutreffende, weil die 
chemische Dynamik möglicher und sogar wahrscheinlicher Weise noch dazu 
führen kann, die Eigenschaften einer Verbindung aus denen ihrer Bestandteile 
vorauszusagen. Bei der »psychischen Synthese« dagegen wird, wie ich meine, 
gemäß dem allgemeinen Charakter psychologischer Gesetze immer nur dieses 
möglich sein, dass man die Eigenschaften der Componenten gewissermaßen in 
der Resultante wiedererkennt: niemals aber wird diese so vollständig und 
ohne Rest aus den ersteren hervorgehen, dass man etwa dem, der die Vor¬ 
stellung des Tastraumes nicht selbst erlebt hätte, diese beibringen könnte, wenn 
man ihm unabhängig von einander Tastempfindungen mit ihren Localzeichen 
und Bewegungsempfindungen mitzutheilen vermöchte. In dieser Beziehung gilt 
von den verwickeltsten psychischen Processen das nämliche was von den ein¬ 
fachsten, den Empfindungen, gilt: sie müssen erlebt werden, um Wirklichkeit 
zu besitzen. Darum kann aber auch hier der Theorie nur die doppelte Auf¬ 
gabe zufallen: i) diejenigen Elemente aufzuzeigen, welche that sächlich un¬ 
sere räumlichen Tast vor Stellungen beeinflussen, und 2) die Bezie¬ 
hungen nachzuweisen, in welchen die Eigenschaften jener Elemente 
zu den Eigenschaften des resultirenden Productes stehen. In 
beiderlei Hinsicht genügt die Theorie der einfachen unmittelbar mit den 
Hautempfindungen verbundenen Localzeichen nicht den Anforderungen: sie er¬ 
klärt weder den Einfluss der Bewegungen auf die Raumunterscheidung, noch 
gibt sie über die von der Richtung unabhängige Gleichartigkeit des räumlichen 
Maßsystems Rechenschaft. Die oben entwickelte Theorie comp lexer, aus 
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localen Empfindungszeichen und Muskelempfindungen bestehender Localzeichen 
dagegen befriedigt jene Forderungen. Denn die Muskelempfindungen, die dem 
Einfluss der Bewegung als Grundlage dienen, bieten zugleich in zureichender 
Weise die Eigenschaft einer gleichartigen und bloß intensiv abgestuften 
Mannigfaltigkeit dar, um in ihnen jene qualitative Congruenz der Dimensionen 
vorgebildet zu finden, welche eine wesentliche Eigenschaft unserer Rauman¬ 
schauung ausmacht1). 
1) Zur Ergänzung vergl. hier die Erörterung des gleichen Problems in Bezug auf 
den Gesichtsraum in Cap. XIII, 8.
	        
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