Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

Automatische lind reflectorische Bewegungen. 
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der individuellen Entwicklung werden wir unten bei der Betrachtung der 
willkürlichen Bewegungen noch kennen lernen. 
Eine scharfe Unterscheidung der Reflexbewegungen von den Instinct- und 
Willenshandlungen ist erst in der neueren Physiologie zur Durchführung gelangt. 
Nachdem zuerst Haller durch seine Irritabilitätslehre den Satz zur Geltung ge¬ 
bracht hatte, dass Bewegung und Empfindung getrennte Functionen seien, die 
sich darum nicht nothwendig begleiten müssten, galt durch die Feststellung der 
Grundgesetze der Reflexbewegungen, welche die Physiologie namentlich den 
Untersuchungen von Prochaska und J. Müller1) verdankt, die rein mechanische 
Natur dieser Bewegungen im allgemeinen als sichergestellt. Auf die merkwür¬ 
dige Anpassung der Reflexbewegungen an die Einwirkungsart der Reize hat 
hauptsächlich Pflüger aufmerksam gemacht und aus seinen Versuchen den 
Schluss gezogen, dass ein niederer Grad von Bewusstsein und Willen auch noch 
im Rückenmark nach der Entfernung des Gehirns zurückbleibe2). Mehrere 
Physiologen schlossen sich ihm an, von andern wurde die Auffassung vertreten, 
dass es auch hier nur um complicirtere mechanische Wirkungen sich handle. 
Lotze, der dieser letzteren Auffassung zuneigte, suchte gewisse Bewegungen 
auf die mechanischen Nachwirkungen der Intelligenz zurückzuführen, auf die 
Einflüsse der Uebung und Gewöhnung hinweisend3). Dass aber diese Erklärung 
mindestens nicht für alle Erscheinungen zureicht, hat schon Goltz hervorge¬ 
hoben und durch verschiedene Versuche erläutert4 5). Er nahm daher, ähnlich 
wie es Schiff0) schon früher gethan, umfangreiche Selbstregulirungen bei den 
Reactionen des Rückenmarks an und suchte dies durch die Verschiedenheiten 
in dem Verhalten enthaupteter und bloß geblendeter Frösche zu stützen. Bei 
solchen Thieren dagegen, denen bloß die Großhirnhemisphären genommen sind, 
glaubte auch Goltz einen gewissen Grad psychischer Functionen zugeben zu 
müssen, indem er den Grundsatz aufstellte, überall wo die Bewegungen so 
verwickelter Natur seien, dass man sich eine Maschine, welche dieselben aus- 
führe, nicht mehr vorstellen könne, sei das Vorhandensein von Seelenvermögen 
anzuerkennen6). Aber es scheint mir zweifelhaft, ob ein Mechanismus, wie er 
den Rückenmarksreflexen zu Grunde liegt, uns nicht auch schon sehr schwei- 
vorstellbar ist. Jedenfalls kann hier nirgends eine scharfe Grenze gezogen 
werden, während eine solche deutlich zu bemerken ist, sobald spontane, 
cl. h. nicht aus äußeren Reizen sondern aus reproclucirten Vorstellungen ent¬ 
springende Bexvegungen auftreten. Dies geschieht aber nur dann, wenn min¬ 
destens ein Theil der Großhirnlappen erhalten blieb. In dem Vorhandensein 
eines sogenannten Anpassungsvermögens liegt, wie ich glaube, ebensowenig wie 
in der Zweckmäßigkeit der Bewegungen ein Grund für die Existenz von Be¬ 
wusstsein. Denn Anpassungsvermögen besitzt das Rückenmark oder irgend eine 
künstliche, mit Regulirungsvorrichtungen versehene Maschine auch, und Grad¬ 
unterschiede können hier keine wesentliche Differenz begründen. Bewusstsein 
in dem Sinne, den wir gemäß unserer Selbstbeobachtung mit diesem Begriff 
1) Müller, Handbuch der Physiologie, I, 4. Auf)., S. 60S. 
2) Pflüger, Die sensorischen Functionen des Rückenmarks, S. 4 6, 414 ff. 
3) Lotze, Göttinger gelehrte Anzeigen, t 853, S. 1 748 ff. 
4) Goltz, Functionen der Nervencentren des Frosches, S. 82 ff. 
5) Lehrbuch der Physiologie, I, S. 214 f. 
6) A. a. 0. S. I 13. 
Wundt, Gnindzüge. II. 
3. Auf. 
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