Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

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Einfluss des Willens auf die Körperbewegungen. 
Beweis für die Existenz eines solchen nicht zu liefern; anderseits aber 
steht fest, dass die Beschaffenheit der Bewegung nur aus der Wirksam¬ 
keit eines unter verwickelten psychischen Einflüssen ausgebildeten Me¬ 
chanismus erklärt werden kann, bei welchem durch die außerordentliche 
Vollkommenheit der stattfindenden Selbstregulirungen eine zweckmäßige 
Anpassung der Bewegung an den äußeren Eindruck erzielt ist. 
Noch häufiger als die automatischen sind die reflectorischen Bewe¬ 
gungen als die Grundlagen aller Willenshandlungen angesehen worden. 
»Misstrauisch gegen den Erfindungsgeist der Seele« habe die Natur dem 
Körper diese Bewegungen als sichere mechanische Erfolge der Reize mit¬ 
gegeben, damit dann der Wille sich ihrer bemächtige und mit ihrer 
Hülfe seine Herrschaft über den Körper gewinne1; . Es muss zugegeben 
werden, dass diese Schilderung die Bedeutung der Reflexapparate höherer 
Organismen für die Ausbildung der Willenshandlungen richtig zu würdigen 
weiß. Aber weder macht sie die Entstehung complicirter Reflexbewe¬ 
gungen irgendwie begreiflich, noch entspricht sie in Bezug auf die ur¬ 
sprüngliche Entwicklung der Willensäußerungen der Wahrheit. Die Vor¬ 
stellung, dass fertige Reflexapparate von zweckmäßiger Einrichtung der 
Seele zur Verfügung gestellt werden, ist nur auf Grund einer Anschauung 
vollziehbar, welche in Gartesianischer Weise die Verbindung von Seele 
und Körper als eine äußere und mechanische ansieht, die jeden Augen¬ 
blick ohne wesentlichen Nachtheil für beide hergestellt und getrennt wer¬ 
den kann2). Die verwickelten Reflexbewegungen, die jener Schilderung 
zu Grunde liegen, beobachten wir überhaupt nur auf der höchsten Stufe 
des Thierreichs. Die vergleichende Untersuchung dieser Bewegungen aber 
zeigt uns, dass die Entwicklung derselben durchaus mit derjenigen der 
Willenshandlungen zusammenfällt. Die Reflexe, die wir an einem ent¬ 
haupteten Thier wahrnehmen, sind die nämlichen Bewegungen, die wir, 
nur in planmäßigerer Ordnung, in den Willkürhandlungen der Individuen 
der nämlichen Species antreffen. Gehen wir aber hinab bis zu den nie¬ 
dersten Stufen des Thierreichs, so finden wir nur noch Bewegungen, die 
den Charakter einfacher Willenshandlungen an sich tragen, w elche von Em¬ 
pfindungen und Trieben begleitet zu sein scheinen. Alles spricht also 
dafür, dass nicht die Willenshandlungen aus den Reflexen hervorgegangen 
sind, sondern dass die Reflexe mechanisch gewordene Willens¬ 
handlungen sind, entstanden durch die Wirkungen, welche die einge¬ 
übten Willensbew’egungen auf die bleibende Organisation des Nerven¬ 
systems hervorbrachten. Empirische Beweise für diese Folgerung aus 
1) Lotze, Medicinische Psychologie, S. 292. 
2) Vergl. hierzu Philos. Stud., I, S. 35 4 ff.
	        
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