Automatische und reflectorische Bewegungen.
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köpften Fröschen die Oberschenkel und ätzt man, während sie sich in
der Bauchlage befinden, die Kreuzgegend, so treffen sie trotz dieses stö¬
renden Eingriffs mit den Füßen der zerbrochenen Gliedmaßen die geätzte
Stelle v).
Diese Beobachtungen, die noch mannigfach variirt werden können,
zeigen, dass das seines Gehirns beraubte Thier seine Bewegungen den
veränderten Bedingungen in einer Weise anpassen kann, die, wenn Be¬
wusstsein und Wille dabei im Spiele sein sollten, offenbar eine vollstän¬
dige Kenntniss der Lage des ganzen Körpers und seiner einzelnen Theile
voraussetzen würde. Das Thier, welches die Abwehrbewegung ausführt,
müsste genau die gereizte Stelle erkennen und den Umfang der aus¬
geführten Bewegung ermessen; der Frosch, dessen Bein man gewaltsam
abducirt hat, müsste von der Lage desselben eine richtige Vorstellung
besitzen. Eine so umfangreiche Kenntniss seiner eigenen Körperzustände
können wir nun dem enthaupteten Thier aus zwei Gründen nicht zu¬
schreiben. Erstens besitzt der Mensch selbst, wenn er sich bei hellstem
Bewusstsein befindet und vollständig Herr seines Willens ist, dieselbe
kaum in der hier vorausgesetzten Weise. Wenn wir irgendwo einen
Schmerz fühlen und nun mit Absicht die schmerzende Stelle berühren,
so ist keineswegs erforderlich, dass wir uns zuvor ein genaues Bild der¬
selben gemacht haben. Der Wille für sich genügt, um fast mit absoluter
Sicherheit den schmerzenden Punkt zu treffen ; über das Lageverhältniss
desselben geben wir uns aber vielleicht gar nicht, vielleicht erst nach¬
träglich Rechenschaft, indem wir ihn durch eigenes Befühlen und Besehen
näher bestimmen. Der willkürliche Gebrauch unserer Bewegungsorgane
und die bewusste Reaction auf äußere Reize würden ausnehmend er¬
schwert sein, wenn wir in jedem einzelnen Fall von dem Maße der aus¬
zuführenden ßewegungen und von dem Ort der Empfindung eine klare
Vorstellung haben müssten. Eine dunkle Vorstellung reicht aber, wenn
man den ganzen Vorgang psychologisch erklären will, nicht aus, denn
sie würde die genaue Anpassung der willkürlichen Bewegung an den
äußeren Eindruck nicht erklären. Also bleibt nur übrig anzunehmen,
dass der Wille einen sicher arbeitenden Mechanismus benutzt, dem er
nur den ersten Impuls zu geben braucht, um eine genaue Befolgung
seiner Befehle mit Berücksichtigung aller obwaltenden Umstände erwarten
zu dürfen. Der erste und Hauptgrund, weshalb jene zweckmäßigen und
den äußeren Bedingungen angepassten Reflexe enthaupteter Thiere nicht
Ausflüsse eines Bewusstseins sein können, ist also der, dass bei den be¬
wussten Handlungen selbst gerade jene genaue Anpassung an die äußeren
-1) Goltz, Die Functionen der Nervencentren des Frosches, S. 116.