Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

Automatische und reflectorische Bewegungen. 
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köpften Fröschen die Oberschenkel und ätzt man, während sie sich in 
der Bauchlage befinden, die Kreuzgegend, so treffen sie trotz dieses stö¬ 
renden Eingriffs mit den Füßen der zerbrochenen Gliedmaßen die geätzte 
Stelle v). 
Diese Beobachtungen, die noch mannigfach variirt werden können, 
zeigen, dass das seines Gehirns beraubte Thier seine Bewegungen den 
veränderten Bedingungen in einer Weise anpassen kann, die, wenn Be¬ 
wusstsein und Wille dabei im Spiele sein sollten, offenbar eine vollstän¬ 
dige Kenntniss der Lage des ganzen Körpers und seiner einzelnen Theile 
voraussetzen würde. Das Thier, welches die Abwehrbewegung ausführt, 
müsste genau die gereizte Stelle erkennen und den Umfang der aus¬ 
geführten Bewegung ermessen; der Frosch, dessen Bein man gewaltsam 
abducirt hat, müsste von der Lage desselben eine richtige Vorstellung 
besitzen. Eine so umfangreiche Kenntniss seiner eigenen Körperzustände 
können wir nun dem enthaupteten Thier aus zwei Gründen nicht zu¬ 
schreiben. Erstens besitzt der Mensch selbst, wenn er sich bei hellstem 
Bewusstsein befindet und vollständig Herr seines Willens ist, dieselbe 
kaum in der hier vorausgesetzten Weise. Wenn wir irgendwo einen 
Schmerz fühlen und nun mit Absicht die schmerzende Stelle berühren, 
so ist keineswegs erforderlich, dass wir uns zuvor ein genaues Bild der¬ 
selben gemacht haben. Der Wille für sich genügt, um fast mit absoluter 
Sicherheit den schmerzenden Punkt zu treffen ; über das Lageverhältniss 
desselben geben wir uns aber vielleicht gar nicht, vielleicht erst nach¬ 
träglich Rechenschaft, indem wir ihn durch eigenes Befühlen und Besehen 
näher bestimmen. Der willkürliche Gebrauch unserer Bewegungsorgane 
und die bewusste Reaction auf äußere Reize würden ausnehmend er¬ 
schwert sein, wenn wir in jedem einzelnen Fall von dem Maße der aus¬ 
zuführenden ßewegungen und von dem Ort der Empfindung eine klare 
Vorstellung haben müssten. Eine dunkle Vorstellung reicht aber, wenn 
man den ganzen Vorgang psychologisch erklären will, nicht aus, denn 
sie würde die genaue Anpassung der willkürlichen Bewegung an den 
äußeren Eindruck nicht erklären. Also bleibt nur übrig anzunehmen, 
dass der Wille einen sicher arbeitenden Mechanismus benutzt, dem er 
nur den ersten Impuls zu geben braucht, um eine genaue Befolgung 
seiner Befehle mit Berücksichtigung aller obwaltenden Umstände erwarten 
zu dürfen. Der erste und Hauptgrund, weshalb jene zweckmäßigen und 
den äußeren Bedingungen angepassten Reflexe enthaupteter Thiere nicht 
Ausflüsse eines Bewusstseins sein können, ist also der, dass bei den be¬ 
wussten Handlungen selbst gerade jene genaue Anpassung an die äußeren 
-1) Goltz, Die Functionen der Nervencentren des Frosches, S. 116.
	        
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