Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

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Tast- und Bewegungsvorstellungen. 
extensive Form bringen. Die Gebundenheit der letzteren an bestimmte Sinnes¬ 
organe beweist eben, dass specielle physiologische Vorbedingungen hierzu er¬ 
forderlich sind. 
Zweite Ansicht: Die Raumvorstellung geht aus einer Succession von 
Empfindungen hervor, welche dann in die räumliche Form geordnet werden, 
wenn ihre Reihenfolge sich umkehren kann. Diese von Herbart ausgeführte 
Theorie zieht zwar die Bewegung als einen wesentlichen Factor für die Bildung 
der Raumanschauung herbei, aber die eigene Bewegung des tastenden Fingers 
z. B. hilft hier nur insofern, als sie eine Succession der Vorstellungen ver¬ 
mittelt, und sie kann daher auch durch eine Hin- und Herbewegung des äußern 
Objects ersetzt werden. Das eigentlich wirksame Vehikel der Raumvorstellung 
ist also nicht die Bewegung sondern lediglich die Succession der Empfindungen, 
die, sobald sie umkehrbar ist, zur Raumvorstellung wird1 2). Die Theorie Her- 
bart’s wandelt eine Beschreibung des objectiven Raumes unmittelbar in den 
subjectiven Vorgang der Raumanschauung um. Wie wir uns in dem äußeren 
Raum in beliebiger Richtung Linien können gezogen denken, die, von wo an¬ 
fangend man sie auch ziehen mag, immer dieselbe Nebeneinanderordnung von 
Raumelementen antreffen: so soll unsere Anschauung den Raum construiren, 
indem sie hin- und zurücklaufende Linien durch denselben legt. Aber nirgends 
wird dargethan, dass solche hin- und zurücklaufende Reihen mit Nothwendig- 
keit zur Raumvorstellung führen. Im Gegentheil, wenn die in einer Richtung 
ablaufenden Vorstellungen die Zeitreihe sind, so bleibt unbegreiflich, warum 
die rückwärts laufenden etwas anderes als wiederum eine Zeitreihe sein sollen. 
Wir können, wie Lotze treffend bemerkt hat, mit Tonen die zur Rauman¬ 
schauung verlangte Reihenform leicht herstellen, wenn wir z. B. die Tonscala 
zuerst auf- und dann absteigend singen, ohne dass doch eine räumliche Vor¬ 
stellung der Erfolg wäre3). Damit werden wir auch hier auf specielle physio¬ 
logische Vorbedingungen hingewiesen. 
Dritte Ansicht: Alle Empfindungen entspringen aus rein intensiven Er¬ 
regungen. Wo eine räumliche Ordnung derselben zu Stande kommt, geschieht 
dies durch die Verbindung mit einem hinzukommenden Nervenprocess, welcher 
der Empfindung ein Zeichen beigibt, mittelst dessen sie auf einen bestimmten 
Ort im Raume bezogen werden kann. Dieses Localzeichen, wie es von 
Lotze genannt wird, kann bei den verschiedenen Sinnesorganen möglicherweise 
eine verschiedene Beschaffenheit besitzen. Erforderlich ist nur, dass alle Local¬ 
zeichen Glieder einer geordneten Reihe sind. Speciell beim Tastsinn vermuthet 
1) Psychologie als Wissenschaft, Werke VI, S. 119. Nach Herbart findet bei einer 
solchen hin- und zuriicklaufenden Succession eine abgestufte Verschmelzung der Einzel- 
vorstellungen statt. »Beim Vorwärtsgehen sinken allmählich die ersten Auffassungen 
und verschmelzen, während des Sinkens sich abstufend, immer weniger und weniger 
mit den nachfolgenden. Beim mindesten Rückkehren aber gerathen sämmtliche 
frühere Auffassungen, begünstigt durch die vielen jetzt hinzukommenden, die ihnen 
gleichen, ins Steigen.« So geschieht es denn, »dass j ede Vorstellung allen ihre Plätze 
an weist, indem sie sich neben und zwischen einander lagern müssen«. (A. a. 0. 
S. 120.) 
2) Cornelius (Die Theorie des Sehens und räumlichen Vorstellens. Halle -1861, 
S. 561 ff.) referirt über die HERBART’sche Theorie so, als wenn in derselben die Muskel¬ 
empfindungen als Localisations!)ülfen herbeigezogen wären. Davon ist aber bei Her¬ 
bart nichts zu finden. 
3) Wagner’s Handwörterbuch der Physiologie, III, 1, S. 177.
	        
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