Schlaf und Traum.
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und Gemeingefühl bestimmt ist, von nachweisbarem Einflüsse. Derselbe
subjective Lichtreiz, der sich bei gehobenem Gemeingefühl zu den Bildern
flatternder Vögel und bunter Blumen gestaltet, pflegt sich, sobald eine
unangenehme Hautempfindung hinzutritt, in hässliche Raupen oder Käfer
zu verwandeln, die an der Haut des Schlafenden emporkriechen wollen.
Oder dieser wird, wie ich einmal beobachtete, von Krebsen geängstigt, die
ihm mit ihren Scheren alle Fingergelenke umfassen; erwachend findet er
die Finger in krampfhafter Beugestellung: hier hat also offenbar die Druck¬
empfindung in den Gelenken die Gesichtsvorstellung nach sich geformt1).
Diesen Fällen, in denen theils objective theils subjective Sinneserre¬
gungen unmittelbar zu Illusionen verarbeitet werden, schließen sich solche
an, in denen der Sinneseindruck zunächst eine dunkle Vorstellung des
damit zusammenhängenden Körperzustandes wachruft, worauf dann Phan¬
tasmen entstehen, die sich entweder direct auf diesen Körperzustand be¬
ziehen oder durch einfache Associationen mit demselben verbunden sind.
So hat Scherner bemerkt, dass die Hauptursache jener vielen Träume, in
denen das Wasser eine Rolle spielt, der Urindrang des Schlafenden ist.
Bald sieht dieser einen Brunnen vor sich, bald sieht er von einer Brücke
in den Fluss hinab, auf dem vielleicht gar, vermöge einer weiteren nahe
liegenden Association, zahllose Schweinsblasen hin- und hertreiben2).
Hier hat dann wahrscheinlich der subjective Lichtstaub des Auges diese
specielle Form der Vorstellung angenommen; anderemale wandelt sich
derselbe, direct durch das Bild des Flusses angeregt, in zahllose glänzende
Fische um. So kommt es, dass die Fische, und zwar fast immer in der
Mehrzahl, bei manchen Menschen ein sehr gewöhnlicher Bestandtheil der
Träume sind. Nicht minder häufig knüpfen die Traum Vorstellungen an
wirkliche Hunger- und Durstempfindungen an, oder sie sind durch die
Beschwerden einer allzu reichlichen Abendmahlzeit verursacht. Der
durstige Träumer sieht-sich in eine Trinkgesellschaft versetzt, der hung¬
rige isst selbst oder sieht Andere essen, ebenso der Uebersättigte; oder
er sieht Esswaaren in großer Menge vor sich ausgestellt. Wenn Schwindel
und Uebelkeit sich hinzugesellen, so glaubt er sich wohl plötzlich auf
einen hohen Thurm versetzt, von dem er sich in schwindelnde Tiefe hinab
erleichtert. Endlich gehören hierher auch jene häufigen Verlegenheits¬
träume, bei denen der Träumer in höchst mangelhafter Toilette auf der
Straße oder in einer Gesellschaft erscheint, Träume, als deren unschuldige
Ursache sich insgemein ein herabgefallenes Deckbett herausstellt. In sehr
1 ) Leber die charakteristischen Eigentümlichkeiten der die narkotischen Intoxi-
cationen (Opium, Alkohol, Haschisch u. s. w.) begleitenden Träume vgl. G. Binz, Ueber
den Traum. Vortrag. Bonn 1878, S. 1 3 ff.
2) Scherner a. a. 0. S. 187.