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Störungen des Bewusstseins.
neswahrnehmungen sondern Illusionen verursacht, und zweitens ist die
Apperception eine veränderte, so dass die Beurtheilung der Erlebnisse
des Bewusstseins wesentlich alterirt erscheint.
Die Mehrzahl der Phantasmen des Traumes pflegt man als reine
Hallucinationen anzusehen. Schwerlich ist diese Annahme gerechtfertigt.
Wahrscheinlich sind die meisten Traumvorstellungen in Wirklichkeit Illu¬
sionen, indem sie von den leisen Sinneseindrücken ausgehen, die niemals
im Schlafe erlöschen. Eine unbequeme Lage des Schlafenden verkettet
sich mit der Vorstellung einer mühseligen Arbeit, eines Ringkampfes, einer
gefährlichen Bergbesteigung u. dgl. Ein leichter Intercostalschmerz wird
als Dolchstich eines bedrängenden Feindes oder als Biss eines wüthenden
Hundes vorgestellt. Eine steigende Athemnoth wird zur furchtbaren Angst
des Alpdrückens, wobei der Alp bald als eine Last, die sich auf die Brust
wälzt, bald als gewaltiges Ungeheuer erscheint, das den Schläfer zu er¬
drücken droht. Unbedeutende Bewegungen des Körpers werden durch
die phantastische Vorstellung ins Ungemessene vergrößert. So wird ein
unwillkürliches Ausstrecken des Fußes zum Fall von der schwindelnden
Höhe eines Thurmes. Den Rhythmus der eigenen Athembewegungen em¬
pfindet der Träumer als Flugbewegung1). Eine wesentliche Rolle spielen
ferner, wTie ich glaube, bei den Traumillusionen jene subjectiven Gesichts¬
und Gehörsempfindungen, die uns aus dem wachen Zustande als Licht¬
chaos des dunkeln Gesichtsfeldes, als Ohrenklingen, Ohrensausen u. s. w.
bekannt sind, unter ihnen namentlich die subjectiven Netzhauterregungen.
So erklärt sich die merkwürdige Neigung des Traumes, ähnliche oder ganz
übereinstimmende Objecte in der Mehrzahl dem Auge vorzuzaubern.
Zahllose Vögel, Schmetterlinge, Fische, bunte Perlen, Blumen u. dergl
sehen wir vor uns ausgebreitet. Hier hat der Lichtstaub des dunkeln
Gesichtsfeldes phantastische Gestalt angenommen, und die zahlreichen
Lichtpunkte, aus denen derselbe besteht, werden von dem Traum zu
ebenso vielen Einzelbildern verkörpert, die wegen der Beweglichkeit des
Lichtchaos als bewegte Gegenstände angeschaut werden. Hierin wurzelt
wohl auch die große Neigung des Traumes zu den mannigfachsten Thier¬
gestalten, deren Formenreichthum sich der besonderen Form der subjec¬
tiven Lichtbilder leicht anschmiegt. Dabei ist dann außerdem der sonstige
Zustand des Träumenden, namentlich insoweit er durch Hautempfindungen
1) Scherner, Das Leben des Traumes. Berlin 1861, S. 165. Dieses Werk enthält,
neben vielen sehr zweifelhaften Deutungen, manche treffende Beobachtung. Verfehlt
ist leider das Bestreben des Verfassers überall dem Traum eine symbolisirende Eigen¬
schaft beizulegen. So leitet er z. B. das Fliegen im Traum nicht einfach aus der Em¬
pfindung der Athembewegungen ab, sondern er meint: weil die Lunge selbst zwei Flügel
habe, so müsse sie in zwei Flugorganen sich darstellen; sie müsse die Flugbewegung
wählen, weil sie sich selbst in der Luft bewege, u. dgl.