Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

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Störungen des Bewusstseins. 
gesteigerten Reizbarkeit der centralen Sinnesflächen die Disposition zu 
Phantasmen gegeben ist, so werden die normalen äußeren Sinnesreize die 
Erreger von Illusionen. Dabei erscheint theils die Intensität der Sinnes¬ 
reize verstärkt, theils werden die Wahrnehmungen in ihrer Qualität und 
Form auf das mannigfaltigste phantastisch verändert. Der Hailucinirende 
hält ein leises Pochen an der Thüre für Grollen des Donners, das Sausen 
des Windes für himmlische Musik. Wolken, Felsen und Bäume nehmen 
die Formen phantastischer Geschöpfe an. In seinem eigenen Schatten 
sieht er Gespenster oder verfolgende Thiere. Vorübergehende Menschen 
betrachten ihn, wie er glaubt, mit feindlichen Blicken oder schneiden ihm 
Fratzen; ihre Gespräche hält er für Schimpfreden, die sich auf ihn be¬ 
ziehen, u. dergl. Am freiesten kann natürlich die Einbildung mit den 
Sinneseindrücken schalten, wenn diese sehr unbestimmt sind, daher auch 
die Phantasie des Gesunden sich miULeichtigkeit in die verschwimmenden 
Umrisse der Wolken, in die regellosen Anhäufungen ferner Gebirge und 
Felsmassen die verschiedensten Gestalten hineindenkt]). Aus demselben 
Grunde ist hauptsächlich die Nacht die Zeit der phantastischen Vorstel¬ 
lungen. In der Nacht w7ird dem Gespenstergläubigen ein Stein oder 
Baumstumpf zur Spukgestalt, und im Rauschen der Blätter hört er un¬ 
heimliche Stimmen. Dabei ist, wie schon bei der Hallucination, die be¬ 
günstigende Wirkung des Affectes nicht zu verkennen. Alle diese Phan¬ 
tasmen der Nacht evistiren nur für den Furchtsamen; dem Auge und Ohr 
des Besonnenen halten sie nicht Stand. Ebenso ist der Einfluss geläufiger 
Associationen oft deutlich zu bemerken. So wird edler Orten von dem 
Gespenstergläubigen mit Vorliebe ein kürzlich Verstorbener in den Schatten¬ 
bildern der Nacht gesehen1 2). 
1) Die Phantasiebilder aus Wolken schildert Shakespeare in der Scene zwischen 
Polonius und Hamlet, 3. Act, Schluss der 2. Scene, die phantastischen Naturgestalten 
Goethe in dem bekannten Wechselgesang der Blocksbergsscene : »Seh’ die Bäume hinter 
Bäumen, wie sie schnell vorüberrücken, und die Klippen, die sich bücken, und die 
langen Felsennasen, wie sie schnarchen, wie sie blasen!« J. Müller erzählt, wie er 
sich in seiner Kindheit Stunden lang damit beschäftigt, in der theilweise geschwärzten 
und gesprungenen Kalkbekleidung eines dem Fenster seiner Wohnung gegenüberliegen¬ 
den Hauses die Umrisse der verschiedensten Gesichter zu sehen, die dann freilich 
Andere nicht erkennen wollten. (Phantastische Gesichtserscheinungen, S. 45.) 
2) Ein charakteristisches Beispiel, welches gleichzeitig den Einfluss des Affectes 
und der Reproduction nachweist, ist das folgende, das Lazarus (a. a. O. S. 4 26) nach 
Dr. Moore mittheilt. Die Bemannung eines Schiffs wurde erschreckt durch das Ge¬ 
spenst des Kochs, welcher einige Tage zuvor gestorben war. Er wurde von Allen 
deutlich gesehen, wie er auf dem Wasser mit dem eigenthümlichen Hinken ging, durch 
welches er gekennzeichnet war, da eins seiner Beine kürzer gewesen als das andere. 
Schließlich ergab sich aber der Spuk als ein Stück von einem alten Wrack.
	        
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