Theorie der Localisation und der räumlichen Tastvorstellungen.
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vationsempfindungen entstehe. Diese geben in ihrer intensiven Ab¬
stufung für die beiden Dimensionen des qualitativen Systems der Local¬
zeichen ein gleichförmiges Maß ab und vermitteln so die Anschauung einer
stetigen Mannigfaltigkeit, deren Dimensionen einander gleichartig sind.
Die Form der Fläche, in welche die Localzeichen geordnet werden, ist
zunächst völlig unbestimmt. Sie wechselt mit der Form der betasteten
Oberfläche. Durch die Bewegungsgesetze der Gliedmaßen sind aber solche
Lageänderungen bevorzugt, bei welchen sich das Tastorgan geradlinig
den Gegenständen entgegen oder an ihnen hinbewegt. Indem so die
Gerade zum bestimmenden Element des Tastraumes wird, erhält der
letztere die Form eines ebenen Raumes, in welchem die in ihrer Krüm¬
mung wechselnden Flächen, die wir durch Betastung wahrnehmen, auf
drei geradlinige Dimensionen zurückgeführt werden.
Die eigenthümliche Verbindung peripherischer Sinnesempfindungen
und centraler Innervationsempfmdungen, welche hier die räumliche Ord¬
nung der ersteren hervorbringt, wollen wir als eine psychische Syn¬
these bezeichnen. Denn die herkömmlichen Bedeutungen des Begriffs
der Synthese enthalten meistens die Beziehung auf neue Eigenschaften
eines Productes, die in seinen Bestandtheilen noch nicht vorhanden waren.
Wie im synthetischen Urtheil dem Subject ein neues Prädicat beigelegt
wird, und wie bei der chemischen Synthese aus gewissen Elementen eine
Verbindung mit neuen Eigenschaften entsteht: so liefert auch die psy¬
chische Synthese als neues Product die räumliche Ordnung der in sie ein¬
gehenden Empfindungen. Diejenigen Bestandtheile der Empfindungen, aus
denen diese Ordnung entspringt, lassen daher erst durch eine psycholo¬
gische Analyse sich nachweisen. Die letztere kann aber auf die Elemente
der räumlichen Vorstellung, da dieselben, wie oben bemerkt, nie isolirt
Vorkommen, nur aus den Veränderungen zurückschließen, welche die
Empfindungscomplexe, deren Bestandtheile sie bilden, unter verschiedenen
Bedingungen erfahren.
Indem die psychologische Analyse die genannten Elemente auffindet, fuhrt
sie damit zugleich auf bestimmte phy s i o logis che Bedingungen, welche dem
svnthetischen Process vorausgehen. Es muss nämlich 1) den Bewegungsem¬
pfindungen die Eigenschaft zukommen zur Abmessung bei der Transformation
des ungleichartigen in ein gleichartiges Continuum dienen zu können, sodann
muss 2) das Tastorgan für die Ausbildung und Abstufung der Localzeichen die
erforderlichen Anlagen der Structur besitzen; und endlich wird 3) nach phy¬
siologischen Vorbedingungen zu suchen sein, welche den Act der Synthese selbst
vermitteln helfen. Was den ersten dieser Punkte betrifft, so gibt es vor allen
eine Classe von Empfindungen, nämlich die unmittelbar von den centralen
Willensacten abhängigen Muskelempfindungen, welch« als gleichartiger Maßstab
Wusdt, Grundzüge. II. 3. Aufl. 3