Affecte und Triebe.
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einigen Trieben des Menschen beobachten. Hier sehen wir nun, dass
z. B. beim Geschlechtstrieb das Begehren in seinen ersten dunkeln Re¬
gungen sich durchaus keines bestimmten Zieles bewusst ist; es wird nicht
von den Vorstellungen beherrscht, sondern der vorhandene Trieb be¬
mächtigt sich erst gewisser Vorstellungen, die sich während der Entvrfck-
lung des individuellen Bewusstseins ihm bieten. In dieser Unbestimmt-
heit der ursprünglichen Triebe liegt zugleich der Keim zu den mannig-
fachen Verirrungen, denen sie unterworfen sind. Der Trieb in seiner
ersten Aeußerung ist also ein Streben, welchem sein Ziel allmählich erst
bewusst wird, indem es nach Erfüllung ringend äußere Eindrücke verar¬
beitet. Nichtsdestoweniger sind gewisse Sinnesreize schon zum ersten
Hervorbrechen der Triebe erforderlich; aber diese Sinnesreize stehen zu
den Vorstellungen,“ deren sich der Trieb bei seiner Erfüllung bemächtigt,
in keiner bestimmten Beziehung, denn sie bewirken überhaupt keinerlei
Vorstellungen, sondern lediglich sinnliche Empfindungen und Gefühle.
Der Nahrungstrieb des Säuglings entspringt weder aus dem Anblick der
Mutterbrust noch aus der Vorstellung der Nahrung, sondern aus einem
dumpfen Hungergefühl, das alle jene Bewegungen hervorruft, welche
schließlich die Stillung des Begehrens bewirken. Ist auf diese Weise öfter
einmal der Trieb des Kindes befriedigt wrnrden, dann wird sich aller¬
dings allmählich die dunkle Vorstellung der äußern Objecte, die sich dabei
darbieten, und seiner eigenen Bewegungen hinzugesellen, und es wird so
mit dem Hungergefühl zugleich das reproducirte Bild aller dieser Eindrücke
auf die Erfüllung des Begehrens hindrängen. So erklärt es sich denn leicht,
dass diese einfachsten Instincthandlungen schon, so sehr sie auch ur¬
sprünglich angeboren sind, doch sichtlich durch Uebung vollkommener
werden.
Nicht anders werden wir nun die individuelle Entstehung der Instincte
bei den Thieren uns denken müssen. In dem jungen Vorstehehund, der
zum ersten Male zur Jagd geht, und der bei der Witterung des Wildes
alsbald von dem unwiderstehlichen Trieb zum Stellen erfasst wird, exi-
stirte bis zu diesem Augenblick noch keine Vorstellung von dem Wilde.
Wahrscheinlich sind es bestimmte Gesichts- und Geruchsreize, die jenen
Trieb momentan in ihm losbrechen lassen. Auch hier kann aber der In¬
stinct in seinen ersten Aeußerungen irre gehen, wie denn z. B. Darwin1)
berichtet, dass zuweilen junge Vorstehehunde vor andern Hunden stehen,
was dem erfahreneren Thiere nicht mehr begegnet. Ebenso werden den
Vogel körperliche Reize, die von den Organen der Fortpflanzung ausgehen,
zu einer bestimmten Zeit seines Lebens antreiben die Vorbereitungen
I) A. a. O. S. 223.