Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

Affecte und Triebe. 
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einigen Trieben des Menschen beobachten. Hier sehen wir nun, dass 
z. B. beim Geschlechtstrieb das Begehren in seinen ersten dunkeln Re¬ 
gungen sich durchaus keines bestimmten Zieles bewusst ist; es wird nicht 
von den Vorstellungen beherrscht, sondern der vorhandene Trieb be¬ 
mächtigt sich erst gewisser Vorstellungen, die sich während der Entvrfck- 
lung des individuellen Bewusstseins ihm bieten. In dieser Unbestimmt- 
heit der ursprünglichen Triebe liegt zugleich der Keim zu den mannig- 
fachen Verirrungen, denen sie unterworfen sind. Der Trieb in seiner 
ersten Aeußerung ist also ein Streben, welchem sein Ziel allmählich erst 
bewusst wird, indem es nach Erfüllung ringend äußere Eindrücke verar¬ 
beitet. Nichtsdestoweniger sind gewisse Sinnesreize schon zum ersten 
Hervorbrechen der Triebe erforderlich; aber diese Sinnesreize stehen zu 
den Vorstellungen,“ deren sich der Trieb bei seiner Erfüllung bemächtigt, 
in keiner bestimmten Beziehung, denn sie bewirken überhaupt keinerlei 
Vorstellungen, sondern lediglich sinnliche Empfindungen und Gefühle. 
Der Nahrungstrieb des Säuglings entspringt weder aus dem Anblick der 
Mutterbrust noch aus der Vorstellung der Nahrung, sondern aus einem 
dumpfen Hungergefühl, das alle jene Bewegungen hervorruft, welche 
schließlich die Stillung des Begehrens bewirken. Ist auf diese Weise öfter 
einmal der Trieb des Kindes befriedigt wrnrden, dann wird sich aller¬ 
dings allmählich die dunkle Vorstellung der äußern Objecte, die sich dabei 
darbieten, und seiner eigenen Bewegungen hinzugesellen, und es wird so 
mit dem Hungergefühl zugleich das reproducirte Bild aller dieser Eindrücke 
auf die Erfüllung des Begehrens hindrängen. So erklärt es sich denn leicht, 
dass diese einfachsten Instincthandlungen schon, so sehr sie auch ur¬ 
sprünglich angeboren sind, doch sichtlich durch Uebung vollkommener 
werden. 
Nicht anders werden wir nun die individuelle Entstehung der Instincte 
bei den Thieren uns denken müssen. In dem jungen Vorstehehund, der 
zum ersten Male zur Jagd geht, und der bei der Witterung des Wildes 
alsbald von dem unwiderstehlichen Trieb zum Stellen erfasst wird, exi- 
stirte bis zu diesem Augenblick noch keine Vorstellung von dem Wilde. 
Wahrscheinlich sind es bestimmte Gesichts- und Geruchsreize, die jenen 
Trieb momentan in ihm losbrechen lassen. Auch hier kann aber der In¬ 
stinct in seinen ersten Aeußerungen irre gehen, wie denn z. B. Darwin1) 
berichtet, dass zuweilen junge Vorstehehunde vor andern Hunden stehen, 
was dem erfahreneren Thiere nicht mehr begegnet. Ebenso werden den 
Vogel körperliche Reize, die von den Organen der Fortpflanzung ausgehen, 
zu einer bestimmten Zeit seines Lebens antreiben die Vorbereitungen 
I) A. a. O. S. 223.
	        
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