410
Gemüthsbewegungen.
eigener Lebensgefahr gewaltig verstärkt. Eine zugerufene Beleidigung
vollends regt zahlreiche Vorstellungen an, die auf die eigene Werth¬
schätzung Bezug haben. Bei allen derartigen Unlustaffecten bedingt also
der Eindruck eine Störung in den unser Selbstgefühl tragenden Vorstel¬
lungskreisen. Ein überraschendes Glück regt seinerseits diese Vorstel¬
lungen zu heftig an. In beiden Fällen drängen sich also mit dem Ein¬
druck zahlreiche andere von starken Gefühlen begleitete Vorstellungen zur
Apperception. Da nun diese nicht nur den Verlauf der Vorstellungen
sondern auch den Wechsel der körperlichen Bewegungen beherrscht, so
wird sich mit diesen inneren Vorgängen eine heftige, bald Erschöpfung
herbeiführende Muskelerregung und im äußersten Fall eine plötzliche
Lähmung verbinden. Wie aber der vom heftigen Affect Ergriffene seiner
eigenen Bewegungen nicht mehr mächtig ist, so verliert er auch die Herr¬
schaft über seine Gefühle und Vorstellungen. Auf diese Weise kann,
indem die erschöpfte Apperception ganz und gar der Herrschaft der Asso¬
ciation unterliegt, ein Zustand vollständiger Ideenflucht eintreten. So
erklärt sich einerseits die täuschende Aehnlichkeit maßloser Affecte mit
dem Rasen des Wahnsinnigen, anderseits die Thatsache, dass die Hingebung
an ungezügelte Affecte ebensowohl zur Seelenstörung, wie diese letztere,
so lange der Zustand gesteigerter Reizbarkeit andauert, zu Affecten dis—
ponirt. Dieser Wechselwirkung fehlt natürlich auch nicht die körperliche
Grundlage. Mit jedem Affect ist eine Reizung des Gehirns verbunden,
deren häufige Wiederholung immer mehr eine dauernde Zunahme der
Reizbarkeit zurücklässt.
Von dem Affect unterscheidet sich der Trieb als eine Gemütsbe¬
wegung, die sich in äußere Körperbewegungen von solcher Beschaffenheit
umzusetzen strebt, dass durch den Erfolg der Bewegung entweder ein
vorhandenes Lustgefühl vergrößert oder ein vorhandenes Unlustgefühl be¬
seitigt wird. Da auch der Affect Rückwirkungen auf die körperliche
Bewegung ausübt, so ergibt sich schon hieraus die Verwandtschaft beider
Gemüthsbewegungen. In der That ist jeder Trieb zugleich Affect; es
unterscheidet ihn von dem letzteren nur die unmittelbare Beziehung der
von ihm verursachten äußern Bewegung zur Verstärkung oder Ausgleichung
des vorhandenen Gefühlszustandes. Dadurch gewinnt der Trieb in der
äußern Erscheinung stets den Charakter einer auf die Zukunft gerich¬
teten Gemüthsbewegung, auch wenn, wie z. B. bei der ersten Aeußerung
angeborener Triebe, ein Bewusstsein des Erfolgs der Bewegung durchaus
nicht vorauszusetzen ist. Die Intensität des erregenden Gefühls begründet
die Stärke, die Beschaffenheit desselben die Richtung des Triebes.
Nach den zwei Gegensätzen des Gefühls spaltet sich daher auch der Trieb