Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

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Gemüthsbewegungen. 
eigener Lebensgefahr gewaltig verstärkt. Eine zugerufene Beleidigung 
vollends regt zahlreiche Vorstellungen an, die auf die eigene Werth¬ 
schätzung Bezug haben. Bei allen derartigen Unlustaffecten bedingt also 
der Eindruck eine Störung in den unser Selbstgefühl tragenden Vorstel¬ 
lungskreisen. Ein überraschendes Glück regt seinerseits diese Vorstel¬ 
lungen zu heftig an. In beiden Fällen drängen sich also mit dem Ein¬ 
druck zahlreiche andere von starken Gefühlen begleitete Vorstellungen zur 
Apperception. Da nun diese nicht nur den Verlauf der Vorstellungen 
sondern auch den Wechsel der körperlichen Bewegungen beherrscht, so 
wird sich mit diesen inneren Vorgängen eine heftige, bald Erschöpfung 
herbeiführende Muskelerregung und im äußersten Fall eine plötzliche 
Lähmung verbinden. Wie aber der vom heftigen Affect Ergriffene seiner 
eigenen Bewegungen nicht mehr mächtig ist, so verliert er auch die Herr¬ 
schaft über seine Gefühle und Vorstellungen. Auf diese Weise kann, 
indem die erschöpfte Apperception ganz und gar der Herrschaft der Asso¬ 
ciation unterliegt, ein Zustand vollständiger Ideenflucht eintreten. So 
erklärt sich einerseits die täuschende Aehnlichkeit maßloser Affecte mit 
dem Rasen des Wahnsinnigen, anderseits die Thatsache, dass die Hingebung 
an ungezügelte Affecte ebensowohl zur Seelenstörung, wie diese letztere, 
so lange der Zustand gesteigerter Reizbarkeit andauert, zu Affecten dis— 
ponirt. Dieser Wechselwirkung fehlt natürlich auch nicht die körperliche 
Grundlage. Mit jedem Affect ist eine Reizung des Gehirns verbunden, 
deren häufige Wiederholung immer mehr eine dauernde Zunahme der 
Reizbarkeit zurücklässt. 
Von dem Affect unterscheidet sich der Trieb als eine Gemütsbe¬ 
wegung, die sich in äußere Körperbewegungen von solcher Beschaffenheit 
umzusetzen strebt, dass durch den Erfolg der Bewegung entweder ein 
vorhandenes Lustgefühl vergrößert oder ein vorhandenes Unlustgefühl be¬ 
seitigt wird. Da auch der Affect Rückwirkungen auf die körperliche 
Bewegung ausübt, so ergibt sich schon hieraus die Verwandtschaft beider 
Gemüthsbewegungen. In der That ist jeder Trieb zugleich Affect; es 
unterscheidet ihn von dem letzteren nur die unmittelbare Beziehung der 
von ihm verursachten äußern Bewegung zur Verstärkung oder Ausgleichung 
des vorhandenen Gefühlszustandes. Dadurch gewinnt der Trieb in der 
äußern Erscheinung stets den Charakter einer auf die Zukunft gerich¬ 
teten Gemüthsbewegung, auch wenn, wie z. B. bei der ersten Aeußerung 
angeborener Triebe, ein Bewusstsein des Erfolgs der Bewegung durchaus 
nicht vorauszusetzen ist. Die Intensität des erregenden Gefühls begründet 
die Stärke, die Beschaffenheit desselben die Richtung des Triebes. 
Nach den zwei Gegensätzen des Gefühls spaltet sich daher auch der Trieb
	        
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