404
Gemüthsbewegungen.
Achtzehntes Gapitel.
Gemüthsbeweguiigeii.
1. Affecte und Triebe.
Die ursprüngliche und in dem Wort zunächst angedeutete Bedeutung
des Begriffs der Gemütsbewegung weist auf Veränderungen hin, die durch
lebhafte Gefühle in dem Verlauf unserer Vorstellungen hervorgebracht
werden. Da unser Inneres in Wirklichkeit immer in Veränderung ist, so
kann die besondere Hervorhebung der Bewegung hier nur in der auf¬
fallenden Stärke derselben ihre Quelle haben. Begelmäßig haben aber
weiterhin derartige durch Gefühle verursachte Störungen in dem Verlauf
unserer Vorstellungen den Erfolg, dass sie die Intensität des Gefühls er¬
heblich verstärken, so dass nun dieses gleichzeitig als die Ursache und
als die Wirkung der eintretenden Veränderung erscheinen kann. In der
That hat dieser Umstand zu zwei entgegengesetzten Ansichten über [die
Natur der Gemüthsbewegungen Anlass gegeben: nach der einen sind
dieselben starke Gefühle, deren bloße Folgeerscheinungen die Verän¬
derungen des Verlaufs der Vorstellungen sind; nach der andern dagegen
sind sie solche Gefühle, die aus dem Vorstellungsverlauf selbst hervor¬
gehen !). Jede dieser Auffassungen greift nur einen Theil des wirklichen
Vorgangs heraus: die erste bezeichnet mit Recht ein Gefühl als die
primäre Ursache der ganzen Gemüthsbewegung, ebenso Recht hat aber
die zweite darin, dass sie auch nach der Gefühlsseite hin als eine wesent¬
liche Bedingung der Gemüthsbewegung die Veränderungen in der Ver¬
bindung der Vorstellungen betrachtet. Zudem sind es diese letzteren,
auf deren verschiedenes Verhalten die Unterscheidung der beiden Haupt-
classen der Gemüthsbewegungen, der Affecte und der Triebe, zurückgeführt
werden kann. Bei den Affecten bleibt die Veränderung eine innere,
auf die Vorstellungen beschränkte, bei den Trieben führt die Bewegung
der Vorstellungen zu äußern Bewegungen, als deren Motive die Vor¬
stellungen mit den sie begleitenden Gefühlen erscheinen.
1) Die erste dieser Ansichten ist die vorherrschende ; in der Regel werden bei
ihr intellectuelle und ethische Momente in unstatthafter Weise eingemengt; so auch in
Kant’s sonst vortrefflicher Darstellung. (Anthropologie, § 73 ff. Ausgabe von Schubert,
VII, S. 171.) Die zweite Ansicht ist von Herbart ausgeführt worden; doch sind ihm
manche Psychologen seiner Richtung, wie namentlich Drobisch (Emp. Psychologie, S. 205),
hier nicht in allen Punkten gefolgt.