Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

Geistige Anlagen. 
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Diese Hülfsvorstellungen selbst können dunkler bewusst bleiben, es genügt, 
dass sie als annähernd constante Begleiter der erinnerten Vorstellung dieser 
in ähnlicher Weise eine Stelle in der Zeit anweisen, wie der räumliche 
Eindruck durch das ihn begleitende Localzeichen seine Stelle im Raum 
erhält. Gerade diese Hülfsvorstellungen aber gehören zum größten Theile 
jener constanten Vorstellungsgruppe an, mit der das Selbstbewusstsein 
innig verwachsen ist. Denn die genaue Vergegenwärtigung eines früheren 
Erlebnisses wird bekanntlich zumeist durch die Erinnerung an die näheren 
Umstände unterstützt, in denen wir uns zurZeit des Erlebnisses befunden 
haben. 
Bei der bald als bleibende Anlage bald vorübergehend oder als nor¬ 
male Alterserscheinung vorkommenden Schwäche des Gedächtnisses 
können hiernach schon nach ihren allgemeinen Bedingungen verschiedene 
Seiten der Gedächtnissfunction verändert sein. Entweder kann dieselbe 
auf mangelhafter oder für zahlreiche Vorstellungen gänzlich fehlender Er¬ 
neuerung der Vorstellungen beruhen, oder es kann zwar die Reproduction 
von statten gehen, aber der Erinnerungsact, die Beziehung der Vorstel¬ 
lungen auf frühere FAlebnisse des eigenen Bewusstseins, kann mehr oder 
weniger gestört sein. Der erste Fall bedingt die Erscheinungen der ge¬ 
wöhnlichen Gedächtnissschwäche, im zweiten Fall entstehen die Erschei¬ 
nungen der so genannten Unbesinnlichkeit, die außerdem mit 
Gedachtnisstäuschungen sich verbinden können. Innerhalb dieser 
Hauptformen der Störung können dann noch mannigfache Unterformen 
entstehen, die in besonders augenfälliger Weise in den verschiedenen Stö¬ 
rungen des Sprachgedächtnisses ihren Ausdruck finden und bereits früher, 
bei Besprechung der physiologischen Grundlagen der Sprachfunction, er¬ 
örtert worden sind1). 
Die Phantasie wird von denvGedächtnisse gewöhnlich als diejenige 
Eigenschaft unterschieden, vermöge deren'wir Vorstellungen in veränderter 
Anordnung reproduciren können. Doch diese Begriffsbestimmung ist eine 
durchaus unzureichende. Es ist zwar richtig, dass die Phantasie die 
Elemente, aus denen sie ihre Verbindungen bildet, dem Schatz des Ge¬ 
dächtnisses entnehmen muss; aber bei den Functionen, die wir noch 
ganz und gar auf das letztere beziehen, fehlt es keineswegs an verän¬ 
derten Anordnungen der Vorstellungen, ja vielleicht keine einzige Repro¬ 
duction liefert uns das früher Erlebte ohne jede Veränderung. Das unter¬ 
scheidende Kennzeichen der Phantasiethätigkeit liegt vielmehr in der Art 
1) Vergl. Abschn. I, Cap. IV und V, S. 170, 238 ff. Eine eingehende Uebersicht 
der allgemeinen Gedächtnisstörungen, gestützt auf zahlreiche Fälle der medicinischen 
Literatur, gibt Ribot, Les maladies de la mémoire, Chap. II—IV.
	        
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