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Verbindungen der Vorstellungen.
sei, und das Unbewusste gewinnt den Charakter einer geheimnisvollen
und wundertätigen Werkstätte, welche dem Bewusstsein gar nichts zu
leisten übrig lässt als eben dies, dass es die Vorstellungen und Denkacte
in bewusste umwandelt. Die Verbindung der elementaren Empfindungen
und der aus ihnen entstandenen Vorstellungen ist aber gerade die Func¬
tion des Bewusstseins, oder vielmehr: Bewusstsein ist dort vorhanden,
wo diese Function in unserer inneren Wahrnehmung zur Erscheinung
kommt. Darum ist nun auch die Ausbildung des Gedächtnisses durchaus
an jene Continuität des Bewusstseins geknüpft, welche schließlich in dem
entwickelten Selbstbewusstsein ihren Abschluss findet1). In die früheste
Kindheit reicht unser Gedächlniss nicht mehr zurück, und es beginnt in
der Begel mit irgend einem lebhaften lust- oder unlusterregenden Ein¬
druck, der eine starke Einwirkung auf unser Selbstgefühl ausgeübt hat.
Jene permanenten Vorstellungen, die sich auf unser Selbst beziehen, bil¬
den für das entwickelte Gedächtniss die bleibende Mitte, um welche sich
alle Erinnerungsvorstellungen gruppiren. Der frühesten Lebenszeit und
den niederen Thieren fehlt nicht überhaupt das Gedächtniss, aber es ist
ein kurzdauerndes, fragmentarisches, nicht ein continuirliches, wie bei
entwickeltem Selbstbewusstsein. Nur in dem letzteren gewinnt daher
auch der Act des Erinnerns seine eigentümliche psychologische Be¬
deutung: er ist keine bloße Erneuerung von Vorstellungen, sondern er
enthält stets zugleich eine Beziehung auf den constanten Vorstellungsinhalt
des Bewusstseins, und vermittelst des letzteren verbindet er die repro-
ducirte mit früheren Vorstellungen.
Der hier angedeutete Unterschied der bloßen Erneuerung und der
Erinnerung d er V or Stellung en bewirkt es, dass auch der Begriff
des Gedächtnisses in zwei Bedeutungen, in einer weiteren und zugleich
niedrigeren und in einer engeren oder höheren, gebraucht werden kann.
In jenem weiteren Sinne ist das Gedächtniss lediglich die Fähigkeit der
Erneuerung der Vorstellungen, ohne dass dabei den letzteren eine Be¬
ziehung zu früher gehabten beigelegt wird. In diesem engeren Sinne wird
die reproducirte Vorstellung als solche wieder erkannt, und sie w7ird auf
diese Weise mit der Vergangenheit des Bewusstseins in unmittelbare Be¬
ziehung gebracht. Dieses eigentliche Gedächtniss schließt daher stets einen
Vorgang ein, den man bildlich als eine Art «Localisation in der Zeit« be¬
zeichnen kann2). Es genügt dazu nicht die Reproduction der einzelnen
Vorstellung, sondern mit ihr müssen andere, die ihr Verhältniss zu dem
Gesammtverlauf der Bewusstseinsvorgänge bestimmen, erneuert werden.
1) Vgl. hierzu Ribot, Revue philos. Mai 4 880, p. 54 6.
2) Ribot, Les maladies de la mémoire. Paris 4 884 , p. 32 ff.