Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

Geistige Anlagen. 
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sische und eine psychische Seite. In physischer Beziehung ist der Grund 
desselben in jenen Veränderungen der Reizbarkeit zu suchen, welche den 
Wiedereintritt einmal vorhanden gewesener Erregungsvorgänge erleichtern 
und auf diese Weise die Erscheinungen der Uebung herbeiführen1). 
Von diesem Gesichtspunkte aus hat man das Gedächtniss geradezu als 
eine Function des Gehirns oder selbst als eine allgemeine Eigenschaft der 
Materie bezeichnet2). Aber da wir doch nicht jede derartige Einübung 
dem Begriff des Gedächtnisses im psychologischen Sinne zurechnen, son¬ 
dern den letzteren nur mit Rücksicht auf den Wiedereintritt von be¬ 
wussten Functionen statuiren, so ist nicht zu übersehen, dass eben auch 
durch die Betheiligung des Bewusstseins das Gedächtniss von andern 
Formen der Einübung sich unterscheidet. Wie wir überhaupt die Ver¬ 
bindung der Empfindungen und Vorstellungen als eine Bedingung des 
Bewusstseins erkannten, so kommt diese verbindende Thätigkeit des letz¬ 
teren auch gegenüber den reproducirten Vorstellungen zur Geltung. Alle 
Reproduction geht von den Vorstellungen aus, die sich jeweils im Bewusst¬ 
sein befinden, und das Vorhandensein der unbewussten Dispositionen lässt 
die Vorstellungen nicht wieder lebendig werden, wenn in dem Bewusst¬ 
sein selbst nicht die erforderlichen Bedingungen für die Anknüpfung von 
Associationen vorhanden sind. In einzelnen Fällen mögen die letzteren 
unserer Wahrnehmung entgehen; dass sie allein die entscheidenden Motive 
für die Reproduction der Vorstellungen abgeben, kann aber um so weniger 
zweifelhaft sein, als selbst in jenen Fällen scheinbar unvermittelter Ver¬ 
knüpfung oft genug eine genauere Nachfrage das associative Band nach¬ 
träglich auffindet. Wenn wir also nicht annehmen wollen, dass das innere 
Geschehen gelegentlich causalitätslos sei, so werden wir nicht umhin kön¬ 
nen die von actueilen Vorstellungen ausgehende associative Wirkung als 
den eigentlichen Grund der Reproduction anzusehen. Die unbewusst vor¬ 
handenen Dispositionen und der Grad ihrer Einübung sind nur dafür be¬ 
stimmend, welche Vorstellungen überhaupt in das Bewusstsein eintreten 
können; der wirkliche Eintritt einer gegebenen Vorstellung aber wird 
stets durch den Zustand des Bewusstseins selber veranlasst. Hieraus geht 
hervor, dass es unrichtig ist, wenn man alle Verbindungen der Vorstel¬ 
lungen auf die unbewussten Dispositionen der Seele und des Gehirns 
zurückführt und erst die fertigen Verbindungen in das Bewusstsein ein¬ 
treten lässt3). Auch hier wird im Grunde wieder das Bewusstsein als 
ein Ding für sich gedacht, welches von seinen Vorstellungen verschieden 
1) Vgl. I, S. 242, 287. 
2) Hering, lieber das Gedächtniss als eine allgemeine Function der organischen 
Materie. 2. Aufl. Wien 1 876. Hensen, Ueber das Gedächtniss. Rectoratsrede. Kiel 1 877. 
3) Hering a. a. O. S. \ 0.
	        
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