Simultane Associationen.
369
Alle diese Vorgänge unterscheiden sich durch die völlige Einfluss¬
losigkeit des Willens auf die Art ihres Eintritts auf das bestimmteste
von den nachher zu erörternden apperceptiven Verbindungen der Vor¬
stellungen, wie sie auch in allen andern Beziehungen als die den übrigen
Associationen nächtsverwandten Processe sich darstellen1). Es erscheint
daher so unzweckmäßig wie möglich, dass man noch immer vielfach spe-
ciell den Assimilationsprocess mit dem Namen der Apperception belegt,
indem man nach dem Vorgang von Herbart den einen Theil der Componenten
als die appercipirenden, und den andern als die appercipirten Vorstellungs¬
massen bezeichnet. Durch diese Unterscheidung wird die Apperception
ganz aus ihrer Stelle gerückt, indem man sie in schroffem Widerstreit mit
aller inneren Erfahrung aus einem Act des Gesammtbewusstseins in
ein Attractionsphänomen zwischen einzelnen Vorstellungen um wandelt.
Hierdurch hat der Begriff derselben seinen charakteristischen Inhalt völlig
verloren, da er in Wahrheit vollständig dem der Association Platz ge¬
macht hat. Eine so wichtige Grundlage aber auch die Associationen und
speciell die Assimilationen für die höheren psychischen Entwicklungen
bilden, so lassen sich doch nimmermehr diese in jene ohne Best auflösen.
Die letzte und loseste Form der simultanen Association besteht in
den Complicationen der Vorstellungen. So wollen wir mit
Herbart die Verbindungen disparater Vorstellungen nennen2 *). Das
Dasein einer Complication pflegt sich durch die Beproduction zu verrathen.
Wenn nämlich in einem gegebenen Fall einer der Sinneseindrücke, welche
die complexe Vorstellung bilden, hinwegbleibt, so wird derselbe trotzdem
hinzugedacht, ähnlich w7ie dies in Bezug auf fehlende Bestandtheile der
Einzelvorstellung bei der Assimilation geschieht. Die meisten unserer
Vorstellungen sind so in Wirklichkeit Complicationen, da im allgemeinen
jedes Ding mehrere disparate Merkmale besitzt. Dabei sind aber aller¬
dings diejenigen Elemente, welche nicht direct aus Sinneseindrücken her¬
vorgehen, oft sehr schwach und unbestimmt, so z. B. w7enn sich mit dem
Gesichtsbild eines Körpers eine undeutliche Vorstellung seiner Härte und
Sclrwere, mit dem Anblick eines musikalischen Instrumentes ein leises
Klangbild verbindet u. s. w. Diese Phantasiebestandtheile w7erden stärker,
wenn die unmittelbare Sinneswahrnehmung schon eine Hindeutung auf die
Beschaffenheit der übrigen Empfindungen enthält. Auf diese Weise bilden
1) Beachtenswerth ist in dieser Hinsicht namentlich der Parallelismus mit der
snccessiven Association bei der Ideenflucht der Irren. Im selben Maße wie bei
der letzteren die Associationsreihen die apperceptiven Vorstellungsverbindungen ver¬
nichten , pflegen sich auch die Assimilationen durch das Uebergewicht der reproduc-
tiven Elemente zu phantastischen Illusionen zu steigern.
2) Herbart, Psychologie als Wissenschaft. Werke, V, S. 361.
Wundt, Grundzüge. II. 3. Aufl.
24