Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

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Apperception und Verlauf der Vorstellungen. 
sitzen wir noch keine zureichenden Aufschlüsse. Für kurze Zeiten scheint 
hier der Indilferenzpunkt oder die Indifferenzzone mit der Vergrößerung 
von & weiter hinauszurücken, so dass also Zeiten, die bei ^ = 0 und 
S = t schon unterschätzt werden, bei S > t noch überschätzt werden ; bei 
längeren Zeiten dagegen scheint der Grad der Unterschätzung mit der Zeit¬ 
distanz S zu wachsen. Doch bedürfen alle diese Beobachtungen noch der 
sichern Bestätigung. Bedient man sich endlich statt der leeren Zeitstrecke t 
einer durch Taktschläge eingetheilten als Normalzeit, so ist man geneigt hier 
auch noch größere Zeitstrecken zu überschätzen. Die eingetheilte Zeit ver¬ 
hält sich also in dieser Beziehung ähnlich wie der eingetheilte Raum1). 
Mehrere der hier erörterten Resultate sind offenbar elementare Fälle 
solcher Erfahrungen, die uns aus der Selbstbeobachtung längst geläufig sind. 
Wollen wir uns Bruchtheile einer Secunde denken, so machen wir uns un¬ 
willkürlich eine zu große Zeitvorstellung, und das entgegengesetzte geschieht 
bei der Vorstellung mehrerer Minuten oder Stunden. Durchlebte Zeiträume 
scheinen sich ferner, ähnlich den Gesichtsobjecten, um so mehr zu verklei¬ 
nern, je ferner sie uns rücken: so erscheint uns die soeben durchlebte 
Stunde länger als eine Stunde des gestrigen Tages. Uebrigens hört die 
Möglichkeit einer genaueren Schätzung der Zeit völlig auf, sobald wir uns 
von dem uns geläufigen Zeitmaß bekannter taktförmiger Bewegungen er¬ 
heblich entfernen. Auch verändern sich dann wesentlich die Bedingungen, 
auf welche sich unsere Zeitschätzungen stützen. Dass zwei Stunden länger 
sind als eine, dies wissen wir nicht vermöge einer directen Vergleichung 
der Intervalle, sondern bloß durch die Einwirkung einer größeren oder 
geringeren Zahl zwischenliegender Vorstellungen. Wo dieses Merkmal 
trügt, da pflegen wir uns daher selbst bei so großen Zeitunterschieden 
zu täuschen. Aehnlich verjüngen sich für unser Bewusstsein entferntere 
Zeiträume, weil eine große Zahl der sie ausfüllenden Vorstellungen unserer 
Reproduction nicht mehr geläufig ist. Auf diese Weise wird für alle 
Zeiten, die an den bekannten einfachsten Vorgängen äußerer und innerer 
Bewegung nicht unmittelbar messbar sind, das Moment der größeren oder 
geringeren Erfüllung der Zeit das allein entscheidende. Der Zeitsinn für 
solche größere Zeiträume lässt darum mit dem natürlichen Zeitmaß für 
die einfachen psychischen Vorgänge kaum mehr eine Vergleichung zu. 
Wesentlich anders als die Reproduction einer vergangenen Zeit ver¬ 
hält sich endlich die unmittelbare Schätzung länger dauernder Zeiträume 
beim Durchleben derselben. Nach bekannter Erfahrung verfließt uns die 
Zeit am schnellsten, wenn uns irgend eine Beschäftigung veranlasst nicht 
an die Zeit zu denken, und sie verfließt uns am langsamsten, wenn wir 
1) Vgl. oben Cap. XIII, S. 124.
	        
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