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Apperception und Verlauf der Vorstellungen.
die wirkliche Apperceptionszeit, sondern sie werden nothwendig kleiner als die
letztere ausfallen. In der That sind die von Baxt beobachteten Zeiträume be¬
trächtlich kleiner als die oben gefundenen Erkennungszeiten. Doch nehmen
auch hier die Zeiten, die ein Eindruck einwirken muss, um nachträglich erkannt
zu werden, selbstverständlich mit der Zusammensetzung desselben zu, und in¬
sofern entsprechen dieselben wohl einigermaßen der relativen Erkennungs¬
zeit. So fand Baxt die Auslöschungszeit für einen Buchstaben zu 30, für
zwei zu 44a. Als einfachere und complicirtere Curven als Objecte benutzt
wurden, verhielten sich die gebrauchten Zeiten wie \ : 5. Ebenso war die
Ausdehnung des Eindrucks von Einfluss: große Buchstaben konnten z. B. schon
bei einer Zeitdauer gelesen werden, bei der kleine nicht einmal als Buchstaben
erkannt wurden; es ist aber wahrscheinlich, dass dies von der Accommodation
des Auges herrührt, weil kleinere Objecte zu ihrer Erkennung eine schärfere
Accommodation nothig machen als große. Endlich übt der Contrast mit den
übrigen im Blickfeld gelegenen Eindrücken eine gewisse Wirkung aus, indem
die Zeit um so kürzer wird, je größer der Beleuchtungsunterschied des wahr¬
zunehmenden Objectes von seiner Umgebung ist.
Aehnliche Versuche hat Cattell ausgeführt, wobei er jedoch den Eindruck
nicht durch weißes Licht auslöschte, sondern durch einen schwarzen Schirm
nach sehr kurzer, aber willkürlich zu variirender Zeit unterbrach1). Dabei sind
natürlich die zur Erkennung erforderlichen Einwirkungszeiten noch viel kürzer
als nach dem Auslöschungsverfahren, weil die Entwicklung des Nachbildes weit
vollkommener von statten geht. Gleichwohl zeigte es sich auch hier, dass die
zur Erkennung eines Objectes erforderliche Einw irkungszeit mit der zusammenge¬
setzten Beschaffenheit desselben zunimmt, und Cattell benützte daher dieses
Verfahren zu der Beantwortung der praktisch interessanten Frage über die
relative Lesbarkeit der Buchstaben. Die Versuche bestätigten die wTeit größere
Deutlichkeit des lateinischen (Antiqua-) gegenüber dem deutschen (Fraktur-)
Druck, während zugleich in beiden Schriftarten die einzelnen Buchstaben be¬
deutende Unterschiede zeigten2).
4. Apperception gleichzeitiger und rasch sich
folgender Eindrücke.
In einer neuen Form werden die Bedingungen der Apperception com-
plicirt, wenn eine Mehrheit gleichzeitiger oder sehr rasch auf einander
folgender Eindrücke gegeben ist, welche entweder gleichzeitig oder suc-
•cessiv appercipirt werden können. Zunächst müssen hierbei, wenn eine
zeitlich gesonderte Auffassung der einzelnen Eindrücke möglich sein
soll, bestimmte, großenteils von den Sinnesorganen abhängige Bedingungen
der Dauer und des Verlaufs der Sinnesreizung erfüllt sein. Diese Bedin¬
gungen bestehen darin, dass 1) jedem Eindruck eine gewisse Zeit gegeben
1) Philos. Stud., Ill, S. 94 ff.
2) Ebend. S. 4 19.