Zusammengesetzte Reactionsvorgänge.
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Coordinationen, bei denen jene psychischen Zwischenglieder vollständig zum
Verschwinden kommen, an sich ein Vorgang von hohem psychologischem
Interesse. Spielt doch dieser Vorgang in der wirklichen Ausbildung un¬
serer Bewegungen eine sehr wichtige Rolle. Bei jeder Einübung von Be¬
wegungen findet in gewissem Grade ein solcher Uebergang statt. Wo die
Bewegungen von zusammengesetzter Beschaffenheit sind, da ist meist zur
ersten Einleitung derselben ein Erkennungs- und Willensact erforderlich,
der weitere Vollzug geschieht dann aber vorwiegend automatisch. So be¬
darf der geübte Clavierspieler zur Umsetzung jedes einzelnen Notenbildes
in eine Tastbewegung, der Handwerker zur Ausführung jeder einzelnen
seiner Manipulationen keines besonderen Erkennungs- und Willensactes
mehr, sondern die physiologischen Uebungsgesetze der nervösen Leitungs¬
bahnen vj ermöglichen hier überall, nachdem eine Bewegungsreihe in Gang
gekommen ist, die angemessene automatische Coordination der einzelnen
Bewegungen an die einzelnen Eindrücke. Indem die verkürzte Reaction
in ihrer einfachen und zusammengesetzten Form das Studium der ele¬
mentaren Erscheinungen solcher automatischen Coordination ermöglicht,
bietet daher dieses Studium zugleich eine wichtige Aufgabe, bei deren
planmäßiger Behandlung aber die psychisch vermittelten Reactionen eben¬
so auszuschließen sein werden, wie umgekehrt bei den letzteren der Ein¬
tritt automatischer Coordinationen nothwendig zu vermeiden ist,
Donders gebührt das Verdienst, den ersten Versuch zur Ermittelung der
Unterscheidungs- und Wahlacte mittelst der Reactionsmethode gemacht zu
haben1 2). Neben der gewöhnlichen Bestimmungsweise der Reactionszeit (gege¬
bene Bewegung auf bekannten Eindruck), die er als a-Methode bezeichnet,
bediente er sich hauptsächlich noch zweier Verfahrungsweisen, von denen die
eine im wesentlichen unseren Wahlversuchen zwischen zwei Bewegungen (fr-Me¬
thode), die andere unseren Wahlversuchen zwischen Ruhe und Bewegung ent¬
sprach (c-Methode nach Donders) ; in der Regel wurden nicht dauernde, son¬
dern momentane Eindrücke angewandt. Donders hat jedoch diesen Versuchen
eine andere psychologische Deutung gegeben: er meinte, nur bei den fr-Ver¬
suchen komme eine Unterscheidungs- und Willenszeit, bei den c-Versuchen
aber nur die erstere in Betracht. Er glaubt daher die Differenzen c ci als
die eigentlichen Unterscheidungszeiten, die Differenzen fr—c aber als die Willens¬
zeiten betrachten zu dürfen, eine Ansicht, welcher sich auch v. Kries und
Auerbach angeschlossen haben3). Diese Interpretation der Versuche ist jedoch
unzulässig. Die Ueberlegung, ob wir eine Bewegung ausführen sollen oder
nicht, ist eben so gut eine Wahlhandlung wie die Ueberlegung, ob wir von
zwei Bewegungen die eine oder die andere ausführen; sie ist nur von etwas
einfacherer Art. Auch beobachtet man bei der Ausführung der Methode, wenn
1) Vgl. I, S. 242, 287.
2) de Jaager a. a. 0. Donders, Archiv f. Anatomie u. Physiologie, 4 868, S. 657 ff.
3) Y. Kries und Auerbach, Archiv f. Physiologie, 4 877, S. 300.
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