Einfache Reaction auf Sinneseindrücke. 273
sondern nur der letztere ermittelt. Führen nun zwei Beobachter eine und
dieselbe Zeitbestimmung aus, so hat die zwischen ihnen beobachtete Differenz
offenbar die Bedeutung einer Differenz der einfachen Reactionszeiten.
Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, dass die größeren dieser Differenzen
darin ihren Grund haben, dass der eine Beobachter mehr sensoriell, der andere
mehr muskulär reagirte. Wiederholte Bestimmungen der persönlichen Differenz
zwischen den nämlichen Beobachtern zeigten außerdem, dass Veränderungen
in der Reactionsweise sich einstellen, die theils in langen Zeiträumen stetig
geschehen, theils schon in kürzerer Zeit als meistens kleinere Schwankungen
sich geltend machen *■). Es ist nicht unwahrscheinlich, dass bei den größeren
dieser Schwankungen einer der Beobachter von der vollständigen zur verkürzten
Reaetionsform überging oder umgekehrt. Auch eine auf die Abnahme der
Reactionszeit mit der Stärke des Eindrucks hinweisende Veränderung, wie wir
sie unten (Nr. 2) direct feststellen werden, ist bei den Durchgangsbeobach¬
tungen bereits bemerkt worden. Sie besteht in einer bei der Verringerung
der Sternhelligkeit eintretenden Zunahme des persönlichen Fehlers. Bei einer
Abnahme der Helligkeit, welche 2,5 Großenclassen entsprach, erreichte der
Werth dieser Aenderung im Mittel bei drei Beobachtern 0,043 Sec.* 2). Es ist
nicht zu bezweifeln, dass sich die sämmtlichen persönlichen Differenzen auf
ein Minimum reduciren lassen, wenn die Astronomen dereinst die bei den
psychologischen Zeitmessungen gemachten Erfahrungen beachten werden. Auch
bieten die letzeren die Möglichkeit zu einer absoluten Bestimmung der
begangenen Zeitfehler dar, von welcher in Zukunft vielleicht Gebrauch ge¬
macht wird.
Wir haben uns oben grundsätzlich mit der Mittheilung einiger verhältniss-
mäßig zuverlässiger Angaben über Reactionszeiten begnügt, und auch die folgende
Darstellung muss sich diese Beschränkung auferlegen. So neu das Untersuchungs¬
gebiet der psychologischen Zeitmessung ist, so enthält doch die Literatur,
besonders des letzten Jahrzehnts, bereits eine Fülle von Messungen nament¬
lich der einfachen Reactionszeit. Leider entsprechen dieselben aber auch in
solchen Fällen, wo die Versuchstechnik von gröberen Fehlern frei ist, nicht
immer denjenigen Anforderungen, welche erfüllt sein müssten, wenn aus ihnen
irgend welche Schlüsse gezogen werden sollten. Abgesehen davon, dass auf
die oben erörterten Hauptunterschiede der Reaetionsform nirgends Rücksicht
genommen ist, leiden viele Untersuchungen an dem Uebel, dass die Versuchs¬
personen nicht die zureichende Uebung besitzen, weder im Experimentiren
selbst noch in der zu einem erfolgreichen psychologischen Experiment erforder¬
lichen methodischen Selbstbeobachtung. Sporadische Versuche, die an diesen
und jenen Personen angestellt werden, oft ohne sichere Fragestellung, nament¬
lich aber ohne Rürgschaft dafür dass unbeabsichtigte Nebenbedingungen die
Resultate trüben, sind daher ohne allen Werth und nur geeignet, dieses ganze
Gebiet von Forschungen, noch ehe es einen nennenswerten Erfolg aufweisen
kann, zu discreditiren. Selbstverständlich können hier nur diejenigen Arbeiten
4) Vgl. Peters, Astronomische Nachrichten, XL1X, S. 20. Hirsch und Plantamour,
Détermination télégraph. de la différence de longitude etc. Genève et Bâle 1864, und
Hirsch in Moleschott’s Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen, IX, S. 205.
2) Bakhuyzen, Vierteljahrsschr. der astronom. Gesellsch., XIV, S. 408.
Wundt, Grundzüge. II. 3. Aufl. 18