Einfache Reaction auf Sinneseindrücke.
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ist. Um so mehr muss aber das sorgfältige Studium der wechselnden
Bedingungen der einfachen Reactionszeit der Untersuchung des Zeitverlaufs
der sich an sie anschließenden psychischen Processe als unerlässliche Vor¬
bereitung vorangehen.
Nennen wir die Dauer jenes Vorgangs, welcher neben den physiolo¬
gischen Hülfsprocessen die drei psycho-physischen Acte der Perception,
Apperception und Willenserregung in sich schließt, eine vollständige
Reactionszeit, so scheidet sich von demselben entweder zeitweilig oder
unter gewissen Bedingungen der Beobachtung regelmäßig eine verkürzte
Reactionszeit, bei welcher der Process der Apperception wahrscheinlich
ganz eliminirt ist, außerdem aber muthmaßlich die Acte der Perception
und des Bewegungsimpulses zeitlich zusammenfallen, wTeii der letztere
nicht mehr vom Willen ausgeht, sondern, sobald der Eindruck erfolgt^
reflexartig ausgelöst wird. Dieser Unterschied der vollständigen und der
verkürzten Reactionsform ist zuerst in Versuchen von L. Lange und N.
Lange über Schall- und Tastreactionen constatirt, und dann von L. Lange
und Görz Martius auch bei Gesichtsempfindungen nachgewiesen werden.
Ist man erst auf den Unterschied beider Reactionsw7eisen aufmerksam, so
kann man willkürlich zwischen der einen und der andern wählen. Um
möglichst vollständige Reactionszeiten zu erhalten, muss die Aufmerk¬
samkeit intensiv auf das Sinnesorgan, dessen Reizung man erwartet, ge¬
richtet werden, wrelche Spannung sich immer zugleich durch Muskelem¬
pfindungen des betreffenden Sinnesgebiets, z. R. in den Accommodations- und
Augenmuskeln, dem tensor tympani, verräth; dagegen darf sich die Auf¬
merksamkeit nicht auf das reagirende Rew^egungsorgan richten, und das
zuverlässige Kriterium für Erfüllung dieser Bedingung liegt darin, dass
Muskelspannungen dieses Organs gänzlich unterbleiben. Will man dagegen
einen extrem verkürzten Reactionsvorgang erhalten, so ist es nöthig die Auf¬
merksamkeit ausschließlich auf das reagirende Organ zu richten, wTas immer
mit einer gewissen Muskelspannung desselben verbunden ist. Wegen dieser
Unterschiede in der Beobachtungswreise kann man füglich auch die voll¬
ständige Reaction als die sensorielle, die verkürzte als die musku¬
läre bezeichnen. Abgesehen von den angegebenen subjectiven Merkmalen
beider und der längeren Dauer der sensoriellen Reaction gibt es haupt¬
sächlich zwei objective Merkmale, durch wTelche sich dieselben von einan¬
der unterscheiden: erstens kommen bei der muskulären gelegentlich
Fehlreactionen, d. h. Reactionen auf einen andern als den erwarteten
Sinneseindruck, vor, bei der sensoriellen niemals; zweitens stellen sich in
Versuchen, in denen dem Eindruck ein Signal in constanter Zeit voraus¬
geht, bei der muskulären Reaction und bei ungeübteren Beobachtern
leicht vorzeitige Reactionen ein, d. h. solche die vor dem wirklich