Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

Entwicklung des Bewusstseins. 
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düngen bilden. Dieser Zerlegungsprocess, welcher die ganze Weiterent¬ 
wicklung des Bewusstseins bestimmt, findet sich von Anfang an vorgebildet 
in der Beschränkung der Apperception. Indem diese einzelne Be¬ 
wusstseinselemente zu größerer Klarheit erhebt, sondert sie dieselben 
zugleich von dem übrigen dunkleren Bewusstseinsinhalt. 
Dieser subjectiven kommen nun gleichzeitig objective Entwicklungs¬ 
bedingungen begünstigend entgegen. Insbesondere betheiligt sich an der 
Sonderung der Einzelvorstellungen ein Yorstellungscomplex, welcher für 
die weitere Ausbildung des Bewusstseins eine hervorragende Bedeutung be¬ 
ansprucht. Es ist dies die Gruppe derjenigen Vorstellungen, deren Quelle in 
uns selber liegt. Die Sinnesvorstellungen, die wir von unserm eigenen 
Leibe empfangen, und die Bew-egungsvorstellungen unserer Glieder haben 
vor allen anderen den Vorrang, dass sie eine permanente Vorstellungs¬ 
gruppe bilden. Da namentlich einzelne Muskeln immer in Spannung oder 
in Thätigkeit sind, so fehlt niemals in unserm Bewusstsein eine bald un¬ 
klare, bald klarere Vorstellung von den Stellungen oder Bewegungen 
unseres Körpers. Die im Bewusstsein vorhandenen Elemente dieser Vor¬ 
stellungsgruppe sind aber mit den außerhalb stehenden durch häufige 
Association innig verknüpft, so dass auch sie sich mindestens auf der 
Schwelle des Bewusstseins befinden, d. h. jeden Augenblick in dasselbe 
eintreten können. Diese permanente Gruppe von Vorstellungen besitzt 
ferner die Eigenschaft, dass wir uns jeder derselben als einer solchen 
bewusst sind, die wir jeden Augenblick willkürlich zu erzeugen vermögen. 
Die Bewegungsvorstellungen erzeugen wir unmittelbar durch den Willens¬ 
impuls, der die Bewegungen hervorbringt, und die Gesichts- und Tast¬ 
vorstellungen unseres eigenen Leibes erzeugen wir mittelbar durch die 
willkürliche Bewegung unserer Sinnesorgane. Indem wir so die perma¬ 
nente Vorstellungsgruppe als unmittelbar oder mittelbar von unserem Willen 
abhängig auffassen, bezeichnen wir dieselbe als das Selbstbewusstsein1). 
Das Selbstbewusstsein in den Anfängen seiner Entwicklung ist demnach 
ein durchaus sinnliches. Es besteht aus einer Reihe sinnlicher Vorstel¬ 
lungen, die nur durch ihre Permanenz und ihre theilweise Abhängigkeit 
vom Willen sich vor anderen auszeichnen, während gleichzeitig lebhafte 
Gefühle, namentlich Gemeingefühle, ihre Wirkung verstärken. Schon bei 
1) Beobachtungen über die Entwicklung des Bewusstseins beim Kinde sind mehr¬ 
fach gesammelt worden. Ich verweise hier zur Ergänzung der obigen Darstellung 
namentlich auf Kussmaul, Untersuchungen über das Seelenleben des neugeborenen Men¬ 
schen. Leipzig und Heidelberg 4 859. Berth. Sigismund, Kind und Welt. Braun¬ 
schweig 4 856. Ch. Darwin, Biographical sketch of an infant. Mind, July 4 877. 
Preyer, Die Seele des Kindes. Leipzig 1882. 2. Aufl. 4 886. Speciell über die Sinnes¬ 
wahrnehmungen des Kindes handelt: Genzmer, Die Sinneswahrnehmungen des neuge¬ 
borenen Menschen. Diss. Halle 4 873. Ueber die Entwicklung der Bewegungen und 
der Sprache vgl. Abschnitt V. 
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