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Das Bewusstsein.
ganges selber, die erst durch unsere psychologische Abstraction isolirt
werden1). In Folge der Verbindung der auf einander folgenden Apper-
ceptionsacte treten übrigens auch die denselben entsprechenden Einzel¬
gefühle mit einander in Verbindung, und es entstehen so complexere Ge¬
fühlsformen, welche an den Verlauf der Vorstellungen gebunden sind, die
Affecte.
3. Umfang des Bewusstseins und Schwankungen der Auf¬
merksamkeit.
Die Beantwortung der Frage, wie groß die Zahl der Vorstellungen
sei, welche unser Bewusstsein gleichzeitig beherbergen kann, ist deshalb
mit besonderen Schwierigkeiten verknüpft, weil unserer directen inneren
Wahrnehmung nur die appercipirten Vorstellungen zugänglich sind, wäh¬
rend wir uns über die Existenz der im weiteren Blickfeld des Bewusst¬
seins gelegenen meistens erst durch eine nachträgliche Apperception ver¬
gewissern. Hierbei könnte der Verdacht entstehen, dass es sich möglicher¬
weise nur um eine Reproduction von Sinneseindrücken handle, die überhaupt
nicht auf das Bewusstsein eingewirkt hatten, wenn man sich nicht bei
solcher Reproduction, wie dies besonders die auf S. 236 f. beschriebenen
Beobachtungen lehren, im Momente der Apperception gewöhnlich einer
vorangegangenen dunkleren Perception deutlich bewusst würde. Immerhin
machen es diese Umstände begreiflich, dass über den Umfang des Be¬
wusstseins sehr verschiedene Meinungen geäußert worden sind: bald
glaubte man, nur eine sehr beschränkte Zahl, ja nur eine einzige Vor¬
stellung könne jeweils im Bewusstsein anwesend sein, bald sah man diese
Zahl als eine unter Umständen unbegrenzt große an und schrieb nur
gleichzeitig den Vorstellungen unendlich verschiedene Grade der Klar¬
heit zu2).
Selbstverständlich kann nun diese Frage nicht durch ungefähre innere
Wahrnehmungen, sondern höchstens auf experimentellem Wege entschieden
werden. Auf doppelte Weise kann man Aufschluss über dieselbe zu ge¬
winnen suchen: erstens indem man, ähnlich wie es oben zur Untersuchung
des allgemeinen Verhaltens der Vorstellungen im Bewusstsein geschehen
ist, eine größere Anzahl verschiedener Eindrücke simultan und mög¬
lichst instantan hervorbringt und feststellt, wie viele in einem Acte
\ ) Vgl. hierzu I, Cap. X, S. 509, 543 f.
2) Ueber die Frage dieser von Herbart sogenannten »Enge des Bewusstseins« s.
Herbart, Lehrb. zur Psychologie (Werke V), S. 90. Waitz, Lehrb. der Psychologie,
§ 55. Hierzu A. Lange, Die Grundlegung der mathem. Psychologie. Duisburg 1865,
S. 25.