Localisation der Tastempfindungen.
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Tastempfindungen weisen daher auf die Vorstellung hin, dass hier die
Nervenfasern selber durch die auf sie einwirkenden Druckreize erregbar
sind1). Die übrigen Structurverhältnisse der Haut, welche die Empfind¬
lichkeit derselben wesentlich bestimmen, wie namentlich die Dicke der
Oberhaut, üben auf die Feinheit der Localisation keinen directen Einfluss
aus. Hautstellen, welche, wie Rücken und Wangen, wiegen der Zartheit
ihrer Oberhaut gegen schwache Reize sehr empfindlich sind, besitzen
Empfindungskreise von bedeutender Größe. Als unmittelbare Folge der
Abhängigkeit von der Nervenvertheilung ist aber jedenfalls der Einfluss
des Körperwachsthums zu betrachten, ßei Kindern sind, wie Czermak
fand, die Empfindungskreise viel kleiner als bei Erwachsenen. Da nun
die sanze Zahl der Nervenfasern während des Wachsthums wahrschein-
lieh nicht erheblich sich ändert, so muss, je mehr durch das Wachs¬
thum die Körperoberfläche zunimmt, der einer gegebenen Zahl von Fasern
entsprechende Hautbezirk vergrößert werden. Es muss ungefähr der näm¬
liche Erfolg eintreten , den man bei der Dehnung der Haut, z. ß. in der
Schwangerschaft, beim Druck von Geschwülsten oder bei der Streckung
eines beweglichen Körpertheils wie des Halses, beobachtet : auch in den
letzteren Fällen vermindert sich aber die Feinheit der Ortsunterscheidung2).
Die Vergrößerung der Empfindungskreise während des Wachsthums lässt
sich demnach als eine einfache Folge der dabei stattfindenden Ausdehnung
der Hautoberfläche betrachten. Auch die oben hervorgehobene Beobach-
tung, dass an den meisten Stellen des Körpers in querer Richtung die Ein¬
drücke deutlicher als in longitudinaler unterschieden werden, dürfte auf
dieselbe Ursache zu beziehen sein. Fast an allen Theilen des mensch¬
lichen Körpers, namentlich aber am Rumpf und an den Extremitäten, über¬
wiegt nämlich das Längenwachsthum die Zunahme in den anderen Durch¬
messern3). Stellen wir uns demnach vor, die Empfindungsbezirke seien
ursprünglich wirkliche Kreise, so müssen dieselben in Folge des Wachs¬
thums in eine längsovale Form übergehen.
Gegenüber diesen im allgemeinen gleichförmigen Organisationsbedin¬
gungen machen sich nun in mehr veränderlicher Weise andere Einflüsse
geltend, die auf eine Mitwirkung psychologischer Factoren hinweisen.
Zunächst kommt hier, noch theilweise hinüberreichend in das Gebiet phy-
1) Vgl. I, S. 312.
2) Czermak, Wiener Sitzungsber., XV, 1855, S. 466, 487, und Moleschott's Unter¬
suchungen I, S. 202. G. Hartmann, Zeitschr. f. Biologie. XI, S. 99. Teuffel, ebend.
XVIII, S. 247. Uebrigens ist es wahrscheinlich, dass in allen diesen Fällen zugleich
die stärkere Spannung der Haut die Localisationsschärfe beeinträchtigt. Auch fand
G. Hartmann bei der Streckung des Halses die Veränderung nur unbedeutend: sie be¬
trug bloß 8X des Normalwerthes.
3) Vgl. die Tabellen bei Harless, Lehrbuch der plastischen Anatomie. Abth. Ill,
5. 192.