Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

Localisation der Tastempfindungen. 
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Tastempfindungen weisen daher auf die Vorstellung hin, dass hier die 
Nervenfasern selber durch die auf sie einwirkenden Druckreize erregbar 
sind1). Die übrigen Structurverhältnisse der Haut, welche die Empfind¬ 
lichkeit derselben wesentlich bestimmen, wie namentlich die Dicke der 
Oberhaut, üben auf die Feinheit der Localisation keinen directen Einfluss 
aus. Hautstellen, welche, wie Rücken und Wangen, wiegen der Zartheit 
ihrer Oberhaut gegen schwache Reize sehr empfindlich sind, besitzen 
Empfindungskreise von bedeutender Größe. Als unmittelbare Folge der 
Abhängigkeit von der Nervenvertheilung ist aber jedenfalls der Einfluss 
des Körperwachsthums zu betrachten, ßei Kindern sind, wie Czermak 
fand, die Empfindungskreise viel kleiner als bei Erwachsenen. Da nun 
die sanze Zahl der Nervenfasern während des Wachsthums wahrschein- 
lieh nicht erheblich sich ändert, so muss, je mehr durch das Wachs¬ 
thum die Körperoberfläche zunimmt, der einer gegebenen Zahl von Fasern 
entsprechende Hautbezirk vergrößert werden. Es muss ungefähr der näm¬ 
liche Erfolg eintreten , den man bei der Dehnung der Haut, z. ß. in der 
Schwangerschaft, beim Druck von Geschwülsten oder bei der Streckung 
eines beweglichen Körpertheils wie des Halses, beobachtet : auch in den 
letzteren Fällen vermindert sich aber die Feinheit der Ortsunterscheidung2). 
Die Vergrößerung der Empfindungskreise während des Wachsthums lässt 
sich demnach als eine einfache Folge der dabei stattfindenden Ausdehnung 
der Hautoberfläche betrachten. Auch die oben hervorgehobene Beobach- 
tung, dass an den meisten Stellen des Körpers in querer Richtung die Ein¬ 
drücke deutlicher als in longitudinaler unterschieden werden, dürfte auf 
dieselbe Ursache zu beziehen sein. Fast an allen Theilen des mensch¬ 
lichen Körpers, namentlich aber am Rumpf und an den Extremitäten, über¬ 
wiegt nämlich das Längenwachsthum die Zunahme in den anderen Durch¬ 
messern3). Stellen wir uns demnach vor, die Empfindungsbezirke seien 
ursprünglich wirkliche Kreise, so müssen dieselben in Folge des Wachs¬ 
thums in eine längsovale Form übergehen. 
Gegenüber diesen im allgemeinen gleichförmigen Organisationsbedin¬ 
gungen machen sich nun in mehr veränderlicher Weise andere Einflüsse 
geltend, die auf eine Mitwirkung psychologischer Factoren hinweisen. 
Zunächst kommt hier, noch theilweise hinüberreichend in das Gebiet phy- 
1) Vgl. I, S. 312. 
2) Czermak, Wiener Sitzungsber., XV, 1855, S. 466, 487, und Moleschott's Unter¬ 
suchungen I, S. 202. G. Hartmann, Zeitschr. f. Biologie. XI, S. 99. Teuffel, ebend. 
XVIII, S. 247. Uebrigens ist es wahrscheinlich, dass in allen diesen Fällen zugleich 
die stärkere Spannung der Haut die Localisationsschärfe beeinträchtigt. Auch fand 
G. Hartmann bei der Streckung des Halses die Veränderung nur unbedeutend: sie be¬ 
trug bloß 8X des Normalwerthes. 
3) Vgl. die Tabellen bei Harless, Lehrbuch der plastischen Anatomie. Abth. Ill, 
5. 192.
	        
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